Die Pestärztin
war selbst da, aber nur ihre Tochter hat mir geöffnet, und auch die glühte schon vor Fieber ...«
Lucia erschrak. Sie war völlig erschöpft, schmutzig und hungrig, und womöglich trug sie eben die Pest in das Haus ihrer Gönner. Und nun auch noch das!
»Ich kümmere mich gleich um sie, Meister. Seid guten Mutes! Aber ich flehe Euch an, wascht Euch erst mit Wein oder Schnaps, bevor Ihr Eure Frau anrührt. Das Haus der Hebamme war bestimmt verseucht!«
»Bist du von Sinnen, Mädchen? Ich war lang genug von Agnes' Seite gewichen, da such ich doch kein Badehaus auf, bevor ich sie küsse. Die Ärzte sagen sowieso, baden sei schädlich. Und baden in Wein und Schnaps ... das erscheint mir fast gotteslästerlich! Nun komm, schnell, die Agnes ...« Der Meister wollte Lucia am Arm ziehen, doch sie riss sich los.
»Ich komme, Meister, aber erst, wenn ich die wichtigsten Vorkehrungen getroffen habe. Auch ich war in einem Pesthaus, und ich will die Seuche nicht weitergeben.«
Trotz des Lamentos ihres Meisters nahm Lucia einen Eimer Wasser mit in ihre Kammer, zog ihr Kleid aus und wusch sich gründlich - auch mit Rotwein -, ehe sie sich in saubere Kleider hüllte. Meister Wormser rümpfte darüber die Nase; aber dann verzog er sich doch, um es seiner Magd gleichzutun.
Lucia seufzte. Hoffentlich war es nicht zu spät!
3
A gnes war eine zarte Frau, aber das Kind war kräftig und lag richtig. Lucia half ihm innerhalb von acht Stunden auf die Welt und freute sich mit Agnes und ihrem Mann über ein entzückendes dunkelhaariges Mädchen.
Als Mutter und Kind schließlich versorgt und die wichtigsten Verrichtungen im Haushalt erledigt waren, fühlte sie sich wie zerschlagen. Sie hatte Kopfschmerzen und war zitterig - erste Anzeichen der Pest, wie Lucia inzwischen wusste, aber auch einfach nur Symptome der Erschöpfung. Lucia war zu müde, um zu beten. Agnes wies sie an, ins Bett zu gehen. Inzwischen war die Frau des Meisters Klingenberg eingetroffen, um ihr Gesellschaft zu leisten. Aber vorher ... Lucia musste nach den Küfers sehen. Zu Tode erschöpft machte sie sich ein weiteres Mal auf den Weg ins Judenviertel.
Sie sah den Leichenkarren schon vor der Bude, vorsichtig dirigiert von Küfers raffgierigem Vermieter. Dietmar Willeken gehörte das Haus nebenan sowie die Schenke zum »Güldenen Rad«. An sich musste er reich sein, stand aber in dem Ruf, den Hals nicht voll zu bekommen. Nun brannte er offenbar darauf, die Leichen aus der Bude zu entfernen, um das Gelass neu zu vermieten.
»Aber gestern war da noch jemand am Leben!«, erregte sich Lucia und wollte sich Zugang verschaffen.
Doch die Totengräber winkten ab. »Da drin lebt keine Maus mehr!«, erklärte einer von ihnen. »Grad eben haben wir sie rausgeholt: ein Kleinkind, ein Mädchen, zwei Jungs und eine Frau. Der eine Junge war noch warm, aber mausetot, Mädchen. Geh besser nicht mehr rein, sonst holt der Schwarze Tod dich auch!«
Lucia erkannte Peterchens blasses Gesicht auf dem Totenkarren. In den letzten Wochen, den ersten des neuen Jahres, stieg die Anzahl der Toten in Mainz ständig an. Schon im letzten Jahr war es beängstigend gewesen, aber immerhin hatte man noch jedem Verstorbenen sein eigenes Grab gegönnt. Nun verscharrte man die Armen bereits in Massengräbern. Und den Totengräbern bot sich manchmal ein erschreckendes Bild: Abschaum wie die Küferin vermisste gewöhnlich niemand; oft wurden ganze Familien erst tot in ihren Buden oder Hütten entdeckt, wenn die Besitzer der Elendsquartiere sich nach dem Winter aufmachten, den ausstehenden Mietzins einzufordern.
Lucia wandte sich schließlich zum Gehen. Zum Glück waren wenigstens Agnes und die Kleine wohlauf, und auch Johann Wormser blieb noch einmal verschont. Lucia empfand das fast als ein Wunder - und konnte Gott diesmal aufrichtig danken.
Mit dem fortschreitenden Frühjahr verschlechterte sich jedoch die Lage. Ob es nun wirklich am besseren Wetter lag oder eher daran, dass die Leute geselliger wurden und die Schenken und Weinwirtschaften erneut aufsuchten: Die Zahl der Pesttoten stieg Woche um Woche. Inzwischen waren auch Juden betroffen, was die Leute aber nicht daran hinderte, weiterhin mehr oder weniger offen von »Brunnenvergiftungen« zu faseln. Immerhin standen der Mainzer Bischof und auch der Papst der jüdischen Bevölkerung bei. Clemens VI. erließ in diesem Pestjahr zwei Bullen, in denen er die Juden eindeutig von jeder Schuld freisprach, und auch der Bischof beruhigte das Volk.
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