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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Sache sich schließlich abspielte - und gegen die Leute, die stießen und drängelten und den Schlägern selbst den Weg zu möglichen Opfern verstellten. Hinten kam es zweifellos zu Schlägereien. Lucia und die Frau schleppten Agnes in eine Hofeinfahrt - und Lucia erkannte entsetzt das Haus der Speyers.
    »Ich kann hier nicht bleiben, ich ...« Gehetzt sah sie sich um. Ihr erster Impuls war Flucht, aber wohin? Die Straßen waren gänzlich verstopft.
    »Gemach, gemach«, beruhigte sie die ältere Frau. Lucia erkannte eine Wollweberin, die sie mitunter im Gespräch mit dem Schneider gesehen hatte. Womöglich war der Kontakt mit dieser freundlichen Helferin gefährlicher als die ganze Prozession ...
    »Dies ist sicher ein Judenhaus, aber das sind auch Menschen. Und ihre Frauen kriegen Kinder wie die unseren, sie werden der jungen Frau einen Trank nicht verweigern.«
    Im Hof der Speyers tat sich jetzt etwas; der Knecht musste die Eindringlinge bemerkt haben. Lucia kannte ihn nicht; der Junge musste eingestellt worden sein, nachdem sie das Haus verlassen hatte. Sie atmete zuerst einmal auf, zitterte dann aber, als er sich nicht selbst an die Leute wandte, sondern durch den Kücheneingang ins Haus eilte. Hoffentlich holte er nicht Sarah Speyer!
    Hätte Lucia noch klar denken können, wäre sie natürlich nie auf die Idee verfallen, die jüdische Kaufmannsfrau könnte sich inmitten eines christlichen Mobs wagen. Sarah Speyer versteckte sich im dritten Stock ihres Hauses und würde sicher nicht herunterkommen. Stattdessen erschien Al Shifa - und nahm sich der Kranken sofort an.
    »Ein Schwächeanfall. Kein Wunder bei der Hitze, dem Lärm und der Menge!«, konstatierte sie. »Setzt Euch nur hier beim Brunnen in den Schatten, Frau Meisterin. Ich hole Euch Wein, das wird Euch stärken.«
    »Du bezeichnest die Gesänge unserer Chorherren als >Lärm<, Judenweib?«, fragte Lucias und Agnes' vierschrötiger Retter streng. Der Mann mochte sonst gutwillig sein, aber den Juden brachte er keine Sympathie entgegen.
    »Ich bin keine Jüdin, und ich höre keine Gesänge«, bemerkte Al Shifa. »Nur den Lärm einer Kneipenschlägerei, Ihr solltet Euch schämen vor unserem Gott!« Damit bekreuzigte sie sich und zwinkerte Lucia unter ihrer Haube mutwillig zu. Also hatte sie das Mädchen erkannt. Lucia war sich zunächst nicht sicher gewesen; sie hatte sich vorerst von Al Shifa abgewandt. Aber die Maurin war natürlich viel zu klug, um irgendeine Beziehung zwischen sich und Lucia zu verraten.
    Der Mann nickte. »Da habt Ihr recht«, meinte er und war gleich wieder höflicher. »Aber es ist auch nicht Gott wohlgefällig, dass Ihr Eure Arbeitskraft den Juden verdingt! Vielleicht straft er uns, weil wir das Pack viel zu offen unter uns wohnen lassen ...«
    »Ihr redet Unsinn«, flüsterte Agnes schwach. Sie fand ihre Lebensgeister langsam wieder. »Die Pest wütet auch in Kastilien, und da bestraft die Obrigkeit jeden Christen, der auch nur das Haus eines Juden betritt. Und diese Krankheit rafft Menschen jeden Glaubens dahin ...«
    »Da habe ich anderes gehört!«, verkündete der Mann. »In Köln sind sehr viel mehr Christen zu Schaden gekommen. Die Juden schienen auf magische Weise gefeit!«
    »Vielleicht, weil sie sich öfter waschen!«, bemerkte Al Shifa, die eben mit einem Glas süßen Weins zurückkam und es Agnes kredenzte. »Hier, trinkt in kleinen Schlucken ...«
    »Und wenn du heimkommst, Tochter«, wisperte sie Lucia zu, während sie ein Leintuch in kaltes Wasser tauchte und in Agnes' Nacken legte, »dann wäschst du die Glieder deiner Herrin zunächst mit Wasser und dann mit altem Wein. Das wird sie stärken und mag die Krankheit abhalten. Haltet euch auch sonst sauber, und bleibt im Haus, so oft es geht. Dieser Auftrieb hier ist Wahnsinn!«
    »Weißt du mehr über die Krankheit als wir, Mutter?«, flüsterte Lucia zurück. »Ist sie heilbar?«
    »Die Beulenpest manchmal. Die Lungenpest nie!«, gab Al Shifa rasch zurück. »Aber du musst gehen, Tochter, die Leute gucken schon misstrauisch.«
    Tatsächlich hatte die Wollweberin die Unterhaltung zwischen Al Shifa und Lucia bemerkt und spitzte die Ohren, als das Wort »Pest« fiel. Der Mann hatte sich inzwischen davongemacht. In einem Judenhaus gestrandet zu sein war ihm wohl doch zu unheimlich.
    Die Wollweberin wartete mit Lucia und Agnes, bis die Prozession vorbeigezogen war. Al Shifa gab auch ihr ein Glas Wein, und Agnes unterhielt sich artig mit ihr. Schließlich begleitete sie Lucia

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