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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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habt, habt Ihr die Maske vergessen ...«
    »Sie hilft doch sowieso nichts.« Sie vernahm ein Lächeln in seiner Stimme. »Das hat mir zumindest eine Heilkundige aus dem Morgenland verraten ...«
    Lucia lächelte ebenfalls, als er ging. Aber dann wandte sie sich wieder dem Haus zu. Meister Wormser brauchte ihre gesamte Aufmerksamkeit.
 
    Der Schreinermeister wand sich drei Tage lang im Fieber und litt unter heftigen Schmerzen in der Armbeuge und Leistengegend. Die Beulen schienen immer mehr anzuschwellen, bis sie kurz vor dem Platzen standen. Sie verfärbten sich überdies grün und blau, und jede Berührung ließ den Kranken aufschreien. Aber dann, am vierten Morgen, hatte sich tatsächlich die erste der Beulen geöffnet! Wie Clemens gesagt hatte, entwich ihr eine grünlich-gelbe, stinkende Flüssigkeit. Lucia passte gut auf, sie nicht zu berühren, als sie den Eiter wegwusch. Wie Ar-Rasi vorschrieb, machte sie Kompressen mit Wein - und am Abend kam Johann Wormser erstmals wieder zu Bewusstsein.
    »Lucia! Was ist geschehen?«
    Lucia kühlte seine Stirn mit Wasser. »Ihr hattet die Pest, Herr. Aber Ihr seid genesen.«
    Johann Wormser runzelte die Stirn. »Erzähl keinen Unsinn, Mädchen! Die Pest ist tödlich. Hätte ich sie gehabt, läge ich auf dem Friedhof. Wo ist Agnes? Kannst du sie rufen? Und gib mir Wasser, Mädchen!«
    Lucia flößte ihm verdünnten Wein ein, den er durstig trank.
    »Meister Wormser ... «, begann sie dann vorsichtig. »Es ist wahr, dass Ihr die Pest hattet. Und es ist wahr, dass die meisten Menschen daran sterben ...«
    Johann sank zurück in sein Kissen; das Trinken und Sprechen hatte ihn erschöpft. »Sprich nicht in Rätseln, Lucia. Wo ist Agnes?«
    »Herr ...« Lucia zögerte. Aber er musste es erfahren. Sie konnte ihn nicht im Ungewissen halten. »Herr, Frau Agnes ist bei den Engeln. Sie ... sie konnte der Krankheit nicht widerstehen, so schmal und zart wie sie war. Aber ich bin sicher, sie schaut wohlgefällig auf Euch herunter ...«
    »Sie ist tot?« Es war ein Aufschrei. Johann Wormser richtete sich auf, und Lucia hatte nie einen so schmerzlichen Ausdruck auf einem menschlichen Gesicht gesehen. »Agnes ist tot? Nein, sag, dass es nicht wahr ist!«
    »Doch, Meister«, sagte Lucia behutsam. »Sie ist im Paradies, und sie hat Fygen und Bonifaz bei sich. Sie ist sicher glücklich, Herr ...«
    »Sie ist glücklich? Wie kann sie glücklich sein ohne mich? Wie konnte sie mich allein lassen? Was ist das für ein grausamer Gott, der sie mir entreißt?« Johann Wormser stützte sich auf seine Arme, und Lucia dachte, dass er Schmerzen haben musste. Die Wunden unter den Achseln und in der Leiste waren noch geöffnet. Aber der Meister schien nichts zu empfinden außer seinem unendlichen Schmerz und seiner Wut auf Gott und alle Heiligen.
    »Ich habe jede Prozession mitgemacht! Ich habe Sankt Rochus verehrt, die Mutter Maria durch die Stadt getragen! Und so dankt es mir Gott?«
    Lucia zuckte die Achseln. »Gott dankt einem nichts, glaube ich«, sagte sie leise.
    »Und Agnes! Es gab keine frömmere, keine gottesfürchtigere Frau als sie. Hat man ihr die Letzte Ölung zukommen lassen?«
    Lucia fiel siedend heiß ein, dass sie das vergessen hatte. Über die Begegnung mit dem Pestarzt, den verzweifelten Versuchen, zu helfen - Lucia hatte ein Heilmittel gesucht, keinen Priester.
    Johann Wormser sah es ihr am Gesicht an.
    »Umso besser!«, sagte er hart. »Ihre Seele war vollkommen rein, sie hat niemals gesündigt! Und wenn Gott das anders sieht und sie nicht aufnimmt, wird es uns dort unten vielleicht besser ergehen! Vielleicht sorgt der Teufel eher für seine Schäfchen!«
    Lucia bekreuzigte sich furchtsam. Sie vergaß schon mal ein christliches Sakrament, aber an die Hölle glaubte sie doch.
    »Und damit habe ich Gott nun wohl genug gelästert, dass er mich holt. Ein Blitzschlag wäre ein rascher Tod, aber ich fürchte, nicht einmal das bringt er zustande! Also der Teufel! Komm her, Beelzebub! Komm her, und nimm mich zu dir! Lass mich bei meiner Agnes sein ... die Hölle mit ihr wird mir süßer sein als der Himmel mit allen Engeln.« Johann Wormser hob flehend die Hände.
    »Ihr wisst nicht, was Ihr redet ... «, flüsterte Lucia und hoffte, dass Gott in seiner Güte das genauso einordnete. »Ich bitte Euch, legt Euch hin, schlaft ein wenig. Morgen werdet Ihr das alles anders sehen.«
    Meister Wormser schüttelte den Kopf. »Morgen werde ich bei Agnes sein!«
 
    Johann Wormser brauchte drei Tage, um

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