Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
Vom Netzwerk:
weniger Menschen gestorben. Könnt Ihr das auch von allen anderen Ärzten sagen, deren Schriften Ihr studiert habt?«
    Die Luft im Zimmer war jetzt besser. Agnes stöhnte nur noch manchmal, während Johann zu schlafen schien. Lucia hatte beiden Kranken Weidenrindentee eingeflößt, in der Hoffnung, das Fieber zu senken. Aber Agnes mochte nicht mehr schlucken.
    Lucia verspürte ein bisschen Hunger.
    »Was wollt Ihr jetzt eigentlich tun?«, fragte sie den Pestarzt. Clemens war eben dabei, Bonifaz noch einmal zu untersuchen. Das Kind entwickelte jetzt auch Pestbeulen und stöhnte, wenn man sie berührte.
    »Heute Nacht?«, fragte Clemens. »Ich denke, ich suche mir eine Herberge - am besten bei den Klosterbrüdern. Denen werde ich gleich morgen meine Dienste als Pestarzt anbieten.«
    »Die Klosterpforten sind jetzt geschlossen!«, sagte Lucia rasch. »Und der Wirt der Herberge ist tot. Aber Ihr könntet Euch hier ein Lager richten, oder Ihr schlaft im Stall ...«
    Von Treist warf ihr einen prüfenden Blick zu, unter dem sie errötete. Die Sitten in Peststädten waren locker. Sicher hatte dieser junge Arzt schon von so mancher drallen Magd Anträge erhalten ... Lucia senkte die Augen.
    »Was ist eigentlich mit Euch?«, fragte Clemens unvermittelt. »Ihr pflegt drei Pestkranke, und das tote Kind habt Ihr durch die halbe Stadt geschleppt. Fühlt Ihr Euch nicht krank?«
    Lucia zuckte die Achseln. »Mein Kopf schmerzt, aber das mag vom Weinen kommen. Mein Rücken und meine Glieder schmerzen - aber ich laufe auch den ganzen Tag treppauf und treppab mit Wassereimern. Natürlich kann es auch die Pest sein. Aber dann sterbe ich morgen. Heute bin ich einfach zu müde dazu.«
    Clemens von Treist lachte - ein seltsamer Laut in diesem Totenhaus, noch dazu gedämpft von seiner Maske.
    »Dann legt Euch schlafen, Mädchen. Ich kenne nicht einmal Euren Namen ...« Sie sah Wärme in seinen Augen hinter der Maske und fühlte sich beinahe getröstet. »Lucia«, sagte sie leise. »Wie das Licht.«

5
 
    L ucia schlief wie tot, doch bevor sie sich niederlegte, brachte sie dem Pestarzt ihre noch unfertige Übersetzung des »Handbuchs« des Ar-Rasi. Außerdem Brot, Käse, Rauchfleisch und Wein. Sie freute sich, als er es nicht ablehnte, sondern herzhaft zugriff; sie selbst aber schaffte nur wenige Bissen und Schlucke. Der Tag war einfach zu lang gewesen.
    Am Morgen erwachte sie jedoch hungrig und bei bester Gesundheit. Die Pest hatte sie weiterhin verschont. Auch Clemens von Treist war wohlauf, nur etwas übernächtigt. Er hatte in dieser Nacht fünf Kerzen verbraucht, so sehr war er in die Lektüre des Werkes Ar-Rasis vertieft gewesen.
    Agnes Wormser hatte allerdings die Nacht nicht überlebt, und Bonifaz lag in den letzten Zügen.
    »Ich habe getan, was ich konnte«, bemerkte der Arzt, und Lucia sah zu ihrer Verwunderung Weinkompressen unter Bonifaz' Achsel.
    »Vielleicht weicht das ja die Beulen auf«, überlegte Clemens. »Zumindest schien es dem Kind Erleichterung zu verschaffen. Ihr solltet es auch bei seinem Vater anwenden.«
    Lucia nickte, ein wenig traurig, weil Clemens sie nun endgültig allein ließ. Aber er war hier, um die Pest an vielen Kranken zu studieren - und bei Meister Wormser war er nun am Ende seiner Kunst.
    »Vielleicht hat er ja genug Kraft, dass er überlebt, bis die Beulen aufbrechen«, meinte der Arzt hoffnungsvoll. »Zumal, wenn Ihr ihn warm und sauber haltet. Und woraus ist noch mal dieser Tee? Aus Weidenrinde? Ich habe von Kräuterfrauen gehört, die so etwas verordnen. Aber die Medizin lehnt es ab, es passt nicht in Galens Lehre ...«
    »Ihr müsst mir irgendwann mehr über diese Lehre erzählen«, bemerkte Lucia höflich. »Mein Buch von Ar-Rasi könnt Ihr mitnehmen. Ich kann es auswendig. Ich hab's nur aufgeschrieben, weil ich dachte, ich vererb's mal der kleinen Fygen ...« Sie unterdrückte ein Schluchzen.
    »Ihr solltet den Totenkarren nicht vorbeifahren lassen«, mahnte Clemens sanft. »Ich werde Euch helfen, Eure Meisterin und den Kleinen hinauszubringen.«
    Er blieb neben ihr stehen, eine hoch gewachsene, schlanke Gestalt, die in ihrem unförmigen Wachsmantel und dem Schnabelgesicht wie der Tod persönlich aussah. Die Totengräber schreckten vor ihm zurück, doch Lucia, ebenfalls wieder tief verschleiert, empfand seine Nähe als tröstlich.
    »Ich wünsch Euch Glück!«, sagte sie leise, als er ging. »Findet Euer Mittel gegen die Pest! Aber seid nicht unvorsichtig. Als Ihr gestern das Kind untersucht

Weitere Kostenlose Bücher