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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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gewachsen war. Ein alter Mann, aber stark wie ein Ochse und voller Lebensmut! Seine Geschwüre brachen auf; ich dachte, ich bringe ihn durch. Aber was machen diese Klosterbrüder? Reiben Schmutz und Auswurf der Lungenkranken in die Wunden! Auf dass sie nicht aufhören zu eitern, weil das ja den Körper reinigt! Und immer, wenn der Mann bei Tage etwas Ruhe fand, weckten sie ihn, weil es als ungesund gilt, zu schlafen, wenn die Sonne noch am Himmel steht! Schließlich befiel ihn erneut das Fieber, und er starb. Ich fand, es müsse ihm einer die letzte Ehre erweisen. Und ich wollte diese Gräberfelder schon lange mal sehen. Aber dies hier ist schlimmer, als ich es erwartet habe ...«
    »Was meint Ihr denn, was man mit den Toten tun sollte?«, fragte Lucia sachlich. »Man kann nicht für jeden ein Grab ausheben.«
    »Nein, aber man könnte sie wenigstens ordentlich mit Erde bedecken! Und wenn Ihr mich schon so fragt, auf die Gefahr, dass ich ketzerisch klinge: Ich würde die Leichen verbrennen!« Clemens' Stimme klang trotzig.
    Lucia erschrak. Bei den Juden galt die Feuerbestattung als schwere Verfehlung. Wie es bei den Christen war, wusste sie gar nicht, aber schließlich wurden nur die ärgsten Sünder mit dem Feuertod bestraft. Da war es einem guten Christenmenschen sicher nicht zuträglich, wenn man seinen Leib den Flammen überließ.
    »Aber ist denn das gottgefällig?«, erkundigte sie sich zögernd.
    »Ist das hier gottgefällig?«, fragte Clemens zurück. »Nein, wenn Ihr mich fragt: Feuer reinigt. Und wenn es darum geht, die Seele der Hexenmeister zu retten, dann sagen das ja auch die Priester. Aber denken wir doch einfach mal nicht an die Seele, sondern an das, was die Krankheit ausmacht: Man kann es sich holen, wenn man Kranke berührt, wenn man ihren Dunst einatmet oder ihre Kleider trägt. Der Makel der Krankheit lässt sich nicht abwaschen oder doch nur sehr schwer. Aber übersteht er auch das Feuer? Der Papst hat sich durch einen Feuerkreis schützen lassen. Das Übel kann also Feuer nicht durchdringen.«
    »Es hat Angst davor!«, meinte Lucia. »Das heißt, dass es brennt! Aber dann müssten wir auch die Häuser der Pestkranken abbrennen ...«
    »Zumindest ihre Sachen ins Feuer werfen. Und die Betten, in denen sie gestorben sind. Aber sie vor aller Augen und an frischer Luft verwesen zu lassen, das ist gewiss nicht richtig!« Clemens von Treist wanderte neben Lucia her, den Stadtmauern zu. Keiner von ihnen hatte das Bedürfnis, noch länger auf dem Totenacker zu verweilen. Lucia fiel auf, dass der Pestarzt sein lahmes Bein heute mehr nachzog als vor einigen Tagen. Er musste erschöpft sein.
    »Erschöpft ist kein Ausdruck!«, bemerkte er, als das Mädchen ihn darauf ansprach. »Die Arbeit im Pesthaus ist ... sie ist ... nun, sie reißt nicht ab! Und es gibt nie Erfolge, alle meine Patienten sind bislang gestorben, obwohl Eure Methode mit dem alten Wein durchaus zu lindern scheint. Aber die Mönche trinken den Rebensaft lieber, und die Patienten, die es noch können, treten auch lieber berauscht vor ihren Schöpfer, als sich mit dem Wein baden zu lassen. Ich kann die Pfleger auch nicht überreden, die Kranken zu waschen ... sie lassen sie in ihrem eigenen Kot liegen. Könnt Ihr Euch vorstellen, was für ein Gestank in den Pesthäusern herrscht? Obendrein versäumt man es, die Toten gleich hinauszuschaffen. Oft wird ein Tod erst bemerkt, wenn der Körper zu riechen beginnt. Ich frage mich langsam, was ich hier tue. Denn niemand, niemand überlebt!«
    Der Pestarzt hatte seine Maske nach Verlassen der Gräberfelder wieder sinken lassen. Sein Gesicht, das vor ein paar Tagen noch von Kampfeswillen geglüht hatte, spiegelte jetzt nur noch Hoffnungslosigkeit.
    »Mein Meister hat überlebt«, sagte Lucia leise und sah, wie neuer Mut in Clemens' Ausdruck zurückkehrte, während sie Johanns Geschichte erzählte.
    »Er war auf dem Weg der Besserung, er sprach wieder, auf den Wunden bildete sich Schorf. Aber dann ...«
    »So behauptet sich Rhases gegen Galen«, sinnierte Clemens. »Wenn es nicht ein Zufall war. Man müsste es ausprobieren! Man brauchte mehr Patienten, die man wirklich pflegt und nicht zu Tode behandelt. Meine geschätzten Kollegen hier in Mainz versuchen sich immer noch an Aderlässen! Und Ihr müsstet sie mal hören, wenn man ihnen da widerspricht!«
    Clemens' Ausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er seinen Unmut darüber bereits laut und deutlich geäußert hatte. Lucia fragte sich, ob er in den

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