Die Pestärztin
an Wundbrand und Auszehrung zu sterben. Lucia versuchte, ihm Tee einzuflößen und die aufgebrochenen Pestbeulen mit Wein zu baden. Aber der Meister verweigerte jede Nahrung und jeden Trank; er versuchte, sich der Reinigung seiner Wunden zu entziehen, und brüllte Lucia an, sie möge verschwinden und ihn sich selbst überlassen. Am dritten Tag war dann auch sein kräftiger Körper am Ende.
Lucia bat die Totengräber, ihn aus dem Haus zu tragen.
»Der hat ja mal lange gebraucht, um an der Pest zu sterben«, bemerkte einer von ihnen, dem der Tod Agnes' und der Kinder noch in Erinnerung war. »Mehr als eine Woche. Unglaublich!«
Lucia schüttelte den Kopf.
»Er ist nicht an der Pest gestorben«, sagte sie leise. »Er ist an gebrochenem Herzen gestorben. Und ich hoffe ... ich hoffe sehr, dass er jetzt mit den seinen vereint im Paradies ist.«
Während der Pestkarren davonratterte, suchte sie das letzte Geld zusammen, das sie im Haus der Wormser fand, und machte sich auf den Weg nach St. Quintin. Sie fand einen jungen Pfarrer vor. Der alte Priester war gestorben.
»Die Pest, es ist ein Jammer!«, meinte der Geistliche, ein Ordensbruder der Augustiner. Er hatte die Gemeinde nur vorübergehend übernommen; vorerst traute sich kein Pfarrer von außerhalb in die Stadt. »Und was kann ich nun für Euch tun, junge Frau? Wollt Ihr, dass ich Euch ein Amulett gegen die Pest segne?«
»Ein was?«, fragte Lucia verwirrt. »Trägt man das jetzt? Talismane gegen die Pest? Ist das nicht Aberglaube?«
Der Mönch zuckte die Schultern. »Wenn es eine echte Reliquie ist, mag es böse Blicke und Gedanken abwenden. Und ein Gutachten aus Montpellier besagt, die Pest würde durch Blicke übertragen. Schaden kann es jedenfalls nicht!«
Lucia erinnerte sich daran, dass Clemens von Treist unter anderem in Montpellier studiert hatte. Es sah nicht aus, als hätte man ihm dort viel Nützliches beigebracht.
Sie lehnte das angebotene Amulett jedenfalls ab und bestellte stattdessen Totenmessen. Je eine für Agnes und die Kinder, drei für Johann. Das mochte Gott beschwichtigen. Und sie würde auch etwas geweihte Erde vom Friedhof mitnehmen und zu den Massengräbern vor der Stadt tragen, wo man Johann heute verscharren würde. Natürlich war die Erde dort auch gesegnet worden, aber Lucia hatte zu alteingesessenen Friedhöfen einfach mehr Vertrauen. Sie wohnte der ersten Messe bei, füllte die Erde dann in ein Beutelchen und lief hinaus aus der Stadt, zu den Begräbnisplätzen.
Das Bild, das sich hier bot, war grauenhaft, und der Gestank fast noch schlimmer. Die Gruben waren erheblich zu flach ausgehoben; der Leichengeruch verteilte sich, obwohl die Toten mit Erde bedeckt wurden. Das lockte natürlich auch Hunde und Wildtiere an. Die Gräber waren zum Teil aufgebuddelt und Leichen herausgezerrt worden. Die Totengräber sammelten die zum Teil grauenhaft entstellten Körper dann wieder ein und steckten sie ins nächste Massengrab. Auf den Gedanken, es tiefer anzulegen, kamen sie nicht.
Lucia versuchte zu beten, aber der Gestank nahm ihr den Atem. Und wenn sie ihre Schleier fest vor Mund und Nase drückte, blieb ihr die Luft weg. So wandte sie sich bereits wieder zum Gehen, als der nächste Totenkarren eintraf - begleitet von einem Mann in langem, gewachstem Mantel, der eben die Schnabelmaske übers Gesicht zog, obwohl die Totengräber darüber lachten.
Clemens von Treist schien genauso entsetzt und abgestoßen wie Lucia.
»Dies ist grauenvoll!«, stieß er hervor und nahm sich gar nicht die Zeit, das Mädchen zu begrüßen. »Und es kann nicht richtig sein! Wenn die Seuche sich durch die Luft verbreitet, ist dies hier die ideale Brutstätte!«
Die Totengräber lachten noch lauter.
»Weiß doch jeder, dass die Seuche durch Pestengel verbreitet wird!«, erklärte einer von ihnen gewichtig. »Sie schießen mit ihren Pfeilen auf die sündigen Menschen.«
»Oder von Pestdämonen!«, bemerkte der andere. »Unser Pfarrer meint, da habe eher der Teufel die Hand im Spiel. Weil's eben nicht nur sündige Leute trifft, sondern oft die besten Männer und bravsten Frauen.«
Lucia verdrehte die Augen.
Clemens von Treist schien sie jetzt erst wahrzunehmen.
»Lucia wie das Licht!«, begrüßte er sie freundlich, und das Mädchen meinte, seine Augen hinter der Maske aufleuchten zu sehen. »Verzeiht, dass ich Euch übersehen habe. Aber das hier raubt mir die Sinne! Ich wollte es mir ansehen ... zumal mir heute ein Patient gestorben ist, der mir ans Herz
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