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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Ölung gibt.«
    »Aber wenn ihr gerade mal einen da habt, kann er euch doch auch gleich trauen, oder?«, meinte Lea. »Und wenn nicht, dann macht ihr's eben ohne Rabbi. Zwei Zeugen sollen sich wohl finden.«
    Die jüdische Eheschließung sah zwar den Segen durch einen Rabbiner oder Cantor vor, dringend notwendig war es aber nicht. Und auch christliche Paare ließen ihre Verbindung oft erst nach dem Vollzug der Ehe segnen.
    »Ihr solltet jedenfalls nicht warten. Du würdest es ewig bereuen, wenn die Pest ihn dahinrafft, und ihr hättet nie ...«
    Lea zwinkerte. Juda hätte sich wirklich kaum eine sinnlichere Braut wünschen können!
    Lucia umarmte sie liebevoll, als sie schließlich ging.
    »Wir kümmern uns gut um Al Shifa«, versprach sie. »Und du pass auf dich und dein Kind auf!«
    »Ich lasse dich holen, wenn es zur Welt kommt!«, erklärte Lea unbekümmert. »Du weißt, dass Rachel vor einigen Tagen verschieden ist?«
    Lucia wusste es nicht, bedauerte den Tod der alten Hebamme aber aufrichtig. Sie verdankte Rachel ihr Leben. Und niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie von ihrem Tod in Kenntnis zu setzen!
    »Deine Mutter wird mich nicht an deinem Kindbett haben wollen«, bemerkte sie.
    »Meine Mutter wird nehmen müssen, was sie kriegt!«, meinte Lea hart. »Wir haben zurzeit keine jüdische Hebamme. Und die christlichen kommen nicht in ein Judenhaus. Zudem ist es mein Kindbett und mein Haus! Wir sehen uns, Lucia!«
 
    Lucia dachte über Leas Worte nach, als sie die Treppe hinaufstieg, um sich nun endlich um Al Shifa zu kümmern. Bislang hatte sich ihre Beziehung zu Clemens auf wenige Zärtlichkeiten beschränkt. Sie tauschten Küsse und streichelten einander, aber er hatte nie auch nur ihr Hemd geöffnet. An Heirat hatte Lucia auch nie gedacht, zumal es schwierig werden konnte. Clemens war schließlich von Adel und sie selbst nur ein Findelkind ohne Namen und Mitgift. Wenn er sie freite, heiratete er unter seinem Stand und verlor damit all seine Privilegien. Lucia glaubte nicht, dass irgendjemand bereit wäre, dies für sie auf sich zu nehmen. Aber Lea hatte recht: Es war nicht die Zeit, seine Unschuld zu bewahren, und für wen auch? Die Männer von Mainz starben in den Pesthäusern.
 
    Im oberen Stockwerk bemühte sich Clemens um Al Shifa, aber schon ein Blick in sein Gesicht und vor allem auf den Raum, in dem er sie untergebracht hatte, ließ nichts Gutes ahnen. Al Shifa lag in dem kleinen Kabinett, in das sie nur die Todgeweihten betteten: die Menschen, die an Lungenpest erkrankt waren. Lucia hörte noch Al Shifas Worte: »Die Beulenpest kann man überleben. Die Lungenseuche nie.«
    »Du bist sicher?«, fragte sie leise, als sie an Lucias Lager trat.
    Clemens nickte. »Sie hustet Blut. Es ist kein galoppierender Verlauf, vielleicht wirst du sogar noch mit ihr sprechen können. Aber Rettung gibt es nicht.«
    Lucia setzte sich neben ihre Pflegemutter, die Katrina inzwischen entkleidet und in ein sauberes Tuch gehüllt hatte. Auch lagen bereits Kompressen in ihren Armbeugen und ihrer Leistengegend. Clemens hatte sich für Weinkompressen entschieden. Sie wirkten noch am ehesten lindernd auf die Schmerzen der Kranken.
    Als Lucia ihre Hand nahm, öffnete Al Shifa die Augen.
    »Da bist du, meine Tochter!«, sagte sie leise. »So erfüllt sich mein Wunsch, dich in meiner letzten Stunde bei mir zu sehen. Und das ist ...« Sie wies schwach auf Clemens.
    »Das ist der Mann, den ich mir erwählt habe!«
    Lucia wusste nicht, was über sie kam; es musste Clemens schockieren, sie so sprechen zu hören. Sie schämte sich in dem Moment, in dem sie die Worte aussprach. Wahrscheinlich verfinsterte sich eben seine Miene unter der Maske. Aber in dem nur durch Kerzen erhellten Raum war es zu dunkel, den Ausdruck seiner Augen zu lesen.
    Aber dann sah sie, dass Clemens neben ihr die Maske sinken ließ.
    »Es ist mir eine Freude und eine Ehre, Lucias Mutter kennen zu lernen.«
    Al Shifa sah in sein offenes, kluges Gesicht mit den warmen Augen, und ihr schien zu gefallen, was sie sah.
    »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite«, sagte sie steif und musste dabei husten. »Wenn ihr den Segen einer alten Frau annehmt ...«
    Lucia wusste um die Gefahr, aber sie küsste Al Shifas Wange. Clemens tat es ihr nach.
    Lucia hatte das Gefühl, keinen weiteren Segen für ihre Verbindung zu brauchen.
 
    Lucia und Clemens verbrachten die letzte Nacht an Al Shifas Lager. Die Maurin war nur selten bei Bewusstsein, und die beiden hatten nicht das

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