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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Allah beschütze dich!«

7
 
    D u irrst dich da nicht? Sie haben die Beulen tatsächlich aufgeschnitten?« Clemens kam nicht über die erste, hastige Übersetzung hinweg, die Lucia ihm aus dem Stegreif geliefert hatte. Das Kapitel über die Pest hatte sich im Kanon der Medizin schnell gefunden, doch ein paar der vorgeschlagenen Therapien erschienen dem Medikus beinahe undenkbar.
    Lucia nickte unkonzentriert. So sehr auch sie die Lektüre faszinierte - sie fieberte vor allem dem Sonnenuntergang entgegen und der Ankunft von Al Shifa. Am Morgen hatte es so ausgesehen, als werde die Maurin den Tag noch aufrecht überstehen. Doch Lucia wusste nur zu gut, wie schnell die Pest ihre Opfer dahinraffte. Die meisten glühten längst vor Fieber und konnten sich nicht mehr von ihrem Lager erheben, wenn sich die ersten Beulen zeigten. So gesehen war Al Shifa ein ungewöhnlicher Fall. Vielleicht war das ja ein gutes Zeichen! Lucia betete zu Gott und Allah, dass es ihnen gelingen würde, ihre Ziehmutter zu retten.
    Vorerst jedoch gab es kein Zeichen von Al Shifa, und Clemens war so begierig auf den Text des Ibn Sina, dass er Lucia kaum erlaubte, sich um die Kranken zu kümmern. Katrina und ein paar Angehörige übernahmen das allerdings gern. Sie munkelten von einem »Wunderbuch«, das womöglich für all ihre Lieben die Wende bringen würde. Clemens und Lucia studierten in der ehemaligen Werkstatt, was Lucia recht war. So behielt sie den Eingang im Auge. Und auch sonst genoss sie die Ungestörtheit. Clemens hielt sie im Arm, während sie aus dem Kanon vorlas. Er hatte ihre Haube gelöst und streichelte selbstvergessen ihre Locken. So viel Schönheit ... doch ihre süße, singende Stimme sprach vom Tod.
    »Auch im Morgenland sind die meisten am Fieber gestorben«, gab sie die Berichte des großen Mediziners wieder. »Und die Ärzte haben beobachtet, dass das Fieber sehr schnell sank, sobald sich die Pestbeulen öffneten. Also haben sie versucht, sie zum Reifen zu bringen. Ähnlich wie wir, doch Ibn Sina empfiehlt statt Wein eher Senf und Umschläge mit gekochten Zwiebeln, vermischt mit Butter. Also werden wir das morgen gleich probieren. Aber die Araber haben eben auch versucht, die Beulen aufzuschneiden oder auszubrennen.«
    »Das muss den Opfern furchtbare Schmerzen bereitet haben!«, gab Clemens zu bedenken. »Und es ist auch unvereinbar mit dem Stand des Medikus.«
    Clemens selbst hatte nie ein Skalpell geführt. Das überließ man den von studierten Medizinern verachteten Ständen der Bader und Chirurgen.
    »Damals nicht«, meinte Lucia und schaute zum hundertsten Mal zur Tür. »Im Kanon gibt es vielfältige Anweisungen zu Operationen. Man trennte im Morgenland wohl nicht zwischen Bader und Medikus. Und was die Schmerzen anging: Es gab Mittel, sie zu betäuben. Die Patienten schliefen während der Operation.«
    Clemens schüttelte den Kopf. »Lucia, niemand schläft, während man mit Messern an ihm herumschneidet!«
    »Man tränke einen Schwamm mit dem Saft von Haschisch, Wicken und Bilsenkraut«, las Lucia. »Dann lasse man ihn in der Sonne trocknen. Wird er dann gebraucht, so feuchte man ihn an und stecke Schwammstückchen in die Nase des Patienten. Der Körper wird die Säfte aufnehmen, und der Kranke versinkt alsbald in Tiefschlaf. Er wird auch die unerträglichsten Schmerzen nicht mehr spüren und erst langsam erwachen, nachdem man die Schwämme entfernt hat. Wicken und Bilsenkraut haben wir. Aber was ist Haschisch?«
    Während Clemens noch überlegte, regte sich endlich etwas an der Pforte. Lucia sprang auf und wand rasch einen Schleier um ihr Haar.
    Draußen standen zwei Frauen, die eine schwer auf die andere gestützt. Beide waren verschleiert; die eine war hoch in Umständen.
    »Al Shifa?«, fragte Lucia hoffnungsvoll. Dann erkannte sie die zweite Frau. »Lea! Mein Gott, Lea, auch du?«
    »Lass uns erst einmal herein, ich muss von der Straße weg. Wenn jemand mich als Jüdin erkennt ...« Lea hatte ihren Mantel wieder einmal so drapiert, dass man die Judenringe nicht sehen konnte.
    Lucia zog die beiden ins Haus, wo Al Shifa langsam in sich zusammensank. Sie hustete wieder. Lucia fing sie auf. Sie hätte einen Mundschutz tragen müssen, doch bei Al Shifa vergaß sie alle Vorsicht.
    Clemens war diesmal umsichtiger. Er hatte seine Schnabelmaske angelegt, ehe er Lucia die Bewusstlose aus den Armen nahm und in die Krankenzimmer im ersten Stock trug.
    Lucia und Lea standen einander gegenüber und wussten nicht, was sie

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