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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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sagen sollten.
    »Ich hoffe, ich belästige dich nicht«, bemerkte Lea schließlich spröde.
    Lucia errötete. »Ich hab das nicht so gemeint. Es tut mir leid, Lea.«
    Lea lächelte. »Sollten wir damit nicht langsam aufhören? Mit dem Entschuldigen, meine ich. Die letzten Male, die wir uns trafen, haben wir immer nur >Es tut mir leid< gesagt. Das reicht doch jetzt, oder?«
    Lucia gab das Lächeln zurück. Das war so typisch Lea! Sie hatte das Gefühl, eine Freundin wiederzufinden.
    »Ja, es reicht jetzt«, erwiderte sie fest. »Aber nun sag, Lea, bist du krank? Ist die Pest im Haus deiner Familie?« Sie musterte die Freundin ängstlich, doch Lea wirkte nicht krank. Im Gegenteil, sie sah blühend aus; die Schwangerschaft schien ihr gut zu bekommen.
    Lea schüttelte denn auch den Kopf. »Bislang waren alle gesund. Aber nun Al Shifa ... und es tut mir so leid, Lucia! Es ist so ungerecht! Sie muss es sich in der Stadt geholt haben, auf den Märkten. Sie bestand darauf, alle Besorgungen allein zu machen, so gefährlich es auch für sie war. Meine Mutter ließ sie nicht mehr aus dem Haus. Und mein Vater unterstützte sie darin. Er würde uns alle am liebsten einmauern. Al Shifa war ihm allerdings nicht so wichtig. Und nun ist sie krank ...«
    »Du hast sie immerhin hergebracht«, meinte Lucia und staunte über den Mut ihrer sonst oft so oberflächlichen und flatterhaften Freundin. »Allein hätte sie es nicht mehr geschafft, oder?«
    Lea schüttelte den Kopf. »Ich wollte meine Mutter besuchen, und sie sagte mir, Al Shifa sei krank. Sie habe sie zu Bett geschickt. Aber das war auch alles, du kennst ja meine Mutter. Sie ist lieb und gut, aber wenn etwas nicht in ihrem Sinne ist, will sie nichts davon hören. Ich glaube, in all den Monaten ist ihr das Wort >Pest< noch nicht einmal über die Lippen gekommen. Ich bin dann in Al Shifas Kammer gegangen und fand sie glühend vor Fieber. Sie flüsterte nur noch deinen Namen. Na ja, und jeder kennt das Pesthaus in der Augustinergasse. Und die Pestärztin Lucia.«
    Lucia errötete wieder. Erneut dieses Wort: Pestärztin. Lucia beschloss, ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der Seuche zu verdoppeln. Sie musste diesem Titel Ehre machen! Und sie brannte darauf, sich um Al Shifa zu kümmern! Aber die Höflichkeit gebot, zunächst noch ein paar Worte mit Lea zu wechseln.
    »Willst du noch hier bleiben? Möchtest du einen Becher Wein?«, bot sie halbherzig an.
    Lea schüttelte den Kopf. »Es ist zu gefährlich. Die Straßen werden mit jeder Stunde unsicherer ... ich verstehe nicht, was die Leute so toll macht. Man möchte doch meinen, die Seuche sei ein Grund zur Trauer und zur Klage. Im Judenviertel sind in jedem zweiten Haus die Spiegel verhängt, und die letzten Überlebenden sitzen Kaddisch. Die Christen aber tanzen und trinken und lachen, als gäbe es kein Morgen mehr!«
    »Das hoffen sie wahrscheinlich«, sagte Lucia leise. »Sie versuchen, das Leid zu vergessen. Was ist mit deinem Gatten, Lea? Ist er immer noch auf Reisen?«
    Lea nickte. »Und ich sorge mich sehr um ihn. Die Pest wütet ja nicht nur hier; es kann ihn an vielen Orten dahingerafft haben. Vielleicht wartet er aber auch nur ab. Das machen reisende Juden oft. Es ist besser, ein Jahr in einer fremden Gemeinde zu verbringen, als sich in Gefahr zu begeben, wenn irgendwo Pogrome drohen. Mein Vater vermutet Juda im Süden des Reiches. Aber ich glaube es nicht. Juda liebt mich! Er würde mich nicht allein lassen, wenn es irgendeine andere Möglichkeit gäbe.«
    Lucia zog die Freundin an sich.
    »Ich weiß, wie du dich fühlst!«, sagte sie. »Oh, Lea, ich weiß, wie es ist, wenn man liebt! Ich durfte es nicht sagen, aber trotz all dieses Elends hier war ich nie so glücklich! Clemens ...«
    »Der Pestarzt?« Leas Gesicht verzog sich zum vertrauten, verschwörerischen Kichern. »Der Hinkende mit dem Schnabel? Ganz Mainz rätselt, ob sich dahinter wohl eine normale Nase verbirgt.«
    Lucia kicherte mit. Es war wieder wie damals, als sie Kinder waren.
    »Die schönste und edelste Nase, die man sich wünschen kann!«, behauptete sie. »Clemens ist ein schöner Mann, aber sein Bein ist seit seiner Kindheit lahm ...«
    »Und verwachsen?«, fragte Lea.
    Lucia runzelte die Stirn. »Woher soll ich das denn wissen?«
    Lea lachte. »So habt ihr also noch nicht Hochzeit gefeiert? Das solltet ihr bald tun! In diesen Zeiten ...«
    Lucia verdrehte die Augen. »Lea, wir haben kaum Zeit, einen Pfarrer zu suchen, der unseren Kranken die letzte

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