Die Pestärztin
Clemens und Lucia seien mit dem Teufel im Bunde, weil sie immerhin fast ein Drittel ihrer Patienten heilten. Dazu erschien ihnen ihr Umgang mit den Sakramenten zu lasch, und man hatte auch schon versucht, ihnen einen Bruder als Hausgeistlichen anzudienen. Der floh allerdings gleich unter ängstlichen Kreuzzeichen, als er Clemens die erste Pestbeule öffnen sah. Das Herumschneiden des Arztes am menschlichen Körper empfand er als gotteslästerlich. Lucia atmete auf, als er an der Pest starb, ehe er sich mit einer Beschwerde an seine Ordensoberen wenden konnte. Sie schämte sich sehr dafür und betete drei Vaterunser zur Sühne, aber sie konnte nicht anders. Probleme mit der Geistlichkeit konnten sie jetzt am allerwenigsten brauchen.
»Ich bin Laienbruder, ich eigne mich nicht zum Verteilen der Sakramente«, meinte Bruder Caspar steif. »Und wenn ich frei heraus sprechen darf: Ich hab kein Bedürfnis, Leute mit dem Segen der Kirche verrecken zu sehen. Das habe ich im Heiligen Land oft genug erlebt und auch selbst dazu beigetragen - Gott vergib mir. Als Sühne möchte ich heilen, nicht nur beten. Und ich habe gehört, hier sei ein Medikus am Werk, der seine Sache versteht. Besser als meine Brüder, so sehr sie sich auch mühen, Gott segne sie.«
Bruder Caspar bekreuzigte sich, doch sein kantiges, wettergegerbtes Gesicht sprach eine deutliche Sprache. Er mochte tief gläubig sein, aber vom Beten gegen die Pest hielt er nichts.
»Gott hilft denen, die sich selbst helfen«, war sein Lieblingsspruch, den Lucia und die anderen Helfer in den nächsten Tagen Hunderte Male hören sollten.
»Ihr wart im Heiligen Land?«, erkundigte sich Lucia, während sie ihren neuen Pfleger in die Kunst einwies, Waschungen vorzunehmen und Umschläge zu machen. »Senfumschläge bitte nur, solange es sicher scheint, dass die Beulen sich in den nächsten Stunden noch nicht öffnen. Wenn die Geschwüre reif sind, ist es besser, einen Sud aus Lilienknollen oder Rotwein zu nehmen. Senf und Zwiebeln sind starke Zugmittel. Aber in offenen Wunden brennen sie ...«
Der Mönch hörte aufmerksam zu und begriff auch schnell, wie man die verschiedenen Stadien der Krankheit unterschied.
Darüber vergaß er zunächst, Lucias Frage zu beantworten.
Erst Tage später, als sie das Thema noch einmal anschnitt, gab er Auskunft: »Ich zog im Gefolge der Templer nach Jerusalem. Ja, Herrin. Aber stolz darauf bin ich nicht.« Bruder Caspar senkte den Kopf. Schon beim Gedanken an die auch nach den Kreuzzügen immer noch aufflackernden Kämpfe im Heiligen Land verdunkelte sich sein Blick.
»Aber vielleicht habt Ihr ja ein paar Worte Arabisch aufschnappen können«, meinte Lucia hoffnungsvoll. »Wir suchen nämlich nach einer Pflanze oder einem Mineral, das man Haschisch nennt.«
Lucia erschrak fast, als sie die Veränderung in Bruder Caspars Miene bemerkte. Der Mönch schnaubte, und seine Augen schienen Funken zu sprühen.
»Haschisch!«, stieß er hervor. »Ich höre wohl nicht recht! Was wollt Ihr mit diesem Teufelszeug? Einen Krieg führen? Dieses Tollhaus da draußen noch weiter anheizen?« Er wies auf die Straßen vor dem Haus, in denen schon wieder Musik erscholl und die ersten Betrunkenen grölten. »Sollten meine Brüder recht haben, und Ihr seid doch mit dem Leibhaftigen im Bunde?«
Lucia bekreuzigte sich rasch und versuchte, den aufgebrachten Gottesmann zu beruhigen.
»Es wird doch nur in einem Rezept genannt«, erklärte sie rasch. »Ebenso wie die anderen Kräuter und Mineralien, die wir anwenden. Vermischt mit anderen Zutaten soll es segensreich wirken. Aber Meister von Treist und ich haben bislang nie davon gehört. Ihr dagegen scheint es zu kennen. Bitte, Bruder, lasst uns an Eurem Wissen teilhaben! Ich versichere Euch, wir werden es nicht missbrauchen.«
Schließlich geleitete sie den immer noch misstrauischen Mönch in die alte Werkstatt, in der sie sich nach wie vor mit Clemens zu vertraulichen Gesprächen zurückzuziehen pflegte. In den letzten Monaten hatte Clemens den Raum zur Wohnung umgestaltet und das Lager im Stall aufgegeben. Der Arzt hatte ungeschickt ein Bett zu Ende gezimmert, das Meister Wormser noch begonnen hatte. Eine Truhe und zwei Stühle hatten sich ebenfalls gefunden, und Lucia legte den Boden mit Stroh aus, um es behaglicher zu haben. Schließlich verließ sie allnächtlich ihre Mägdekammer und kam zu Clemens hinüber.
Nun hatte der Pestarzt sich ebenfalls eingefunden, um der Erzählung des Mönchs zu lauschen. Um ihm
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