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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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in ihrem Innern. Wenn Clemens gerade heute auf diese Segnung ihrer Ehe bestanden hatte, so hing das mit seinem Gang ins Judenviertel zusammen. Er war sich der Risiken seines Tuns durchaus bewusst ...
    »Kannst du nicht wenigstens in deiner Tracht als Pestarzt hingehen?«, fragte sie schließlich. »Dann wärst du vor Übergriffen geschützt.«
    Clemens drückte sie an sich, schüttelte jedoch den Kopf. »Auf diesem Weg sicher. Aber stell dir nur vor, was es für unseren Ruf bedeuten würde! Die Geistlichen misstrauen uns sowieso, weil wir zu viele Leute heilen. Undenkbar, dass ich mich nun auch noch unter die Juden mische! Was, wenn sie sagen, wir wären an den Brunnenvergiftungen beteiligt? Und wir hätten das Gegengift, teilten es aber nur ausgesuchten Leuten zu? Der Mob würde uns lynchen!«
    Lucia musste ihm recht geben. Schon das Verhalten des jungen Priesters bewies, dass die Geistlichkeit das Pesthaus in der Augustinergasse nicht gerade wohlwollend betrachtete.
    So heftete sie schließlich voller Angst und Widerwillen ein paar Judenringe an Clemens' Mantel und verfluchte dabei fast ihre eigene Neugier. Wenn sie Ibn Sinas Schriften nicht geholt hätte ... Aber sie hätte niemals auf das Wissen verzichten wollen, und im Grunde brannte sie ebenso auf neue Erkenntnisse wie ihr Mann!
    Im letzten Moment drückte sie ihm denn auch noch den sorglich gehüteten Kanon der Medizin in die Hand.
    »Hier, nimm das mit! Wenn der Mann wirklich im Orient studiert hat, mag er die Sprache besser lesen können als ich. Vielleicht kann er uns bei der Übersetzung helfen.«
    Es gab immer noch ein paar Stellen im Kapitel über die Pest - und sehr viele in anderen Teilen der Schrift -, die Lucia unklar blieben. Ibn Sina schrieb zwar recht verständlich, doch im Betrieb eines Krankenhauses gebrauchte man nun mal andere Worte als die der Lieder und Dichtungen, mit denen Al Shifa ihre Pflegetochter aufgezogen hatte. Lucias Arabisch war gut, aber nicht vollkommen.
    Clemens küsste sie nochmals, bevor er sich endgültig auf den Weg zur Schulstraße machte.
    Lucia folgte ihm in Gedanken. Wie oft war sie diesen Weg gegangen, der doch auch zum Haus der Speyers führte?
 
    Clemens kehrte an diesem Abend nicht zurück, und auch nicht am folgenden Tag. Lucia verging beinahe vor Angst, hörte aber nichts von irgendwelchen Ausschreitungen gegen die Juden. Gegen Abend hielt sie es schließlich nicht mehr aus und lief selbst in Richtung Schulstraße. Tatsächlich war dort alles ruhig. Vor einigen der Häuser jedoch sah sie Stadtbüttel - und stellte entsetzt fest, dass auch vor dem Haus des Aron von Greve, des jüdischen Arztes, zwei Männer postiert waren.
    »Was willst du hier, Mädchen?«, rief einer sie rüde an. »Hast du hier unter den Juden was zu schaffen? Wenn nicht, dann pack dich! Jedenfalls, wenn dir dein Leben lieb ist. In diesem Haus wütet die Pest!«
    Lucia war verwirrt, aber das erklärte zumindest Clemens' Ausbleiben. Vielleicht pflegte der jüdische Arzt ja ebenfalls Pestkranke, und die beiden tauschten sich über Behandlungsmöglichkeiten aus. Ein paar Augenblicke empfand sie fast so etwas wie Zorn auf ihren Geliebten. Er hätte zumindest jemanden schicken können, um sie von seinem Einsatz zu unterrichten. Aber was machten die Stadtwächter hier?
    »Die Pest wütet in ganz Mainz!«, gab Lucia zurück. »Und bislang hat die Stadtwache es nicht geschafft, sie draußen zu halten! Also, wen oder was bewacht ihr hier?«
    Die Männer lachten. Sie wirkten albern und ausgelassen, und der Grund dafür war leicht zu erkennen: Zwischen ihnen stand ein Krug Wein, den sie schon halb geleert hatten.
    »Wi ... wir halten sie nicht draußen, son ... sondern drinnen!«, erklärte einer der Männer, der seine Stimme schon nicht mehr ganz beherrschte. »Be ... Befehl vom Hauptmann: Die Ju ... Judenhäuser, in denen die Pest herrscht, werden ge ... geschlossen, damit die Seuche nicht rausquillt und gu ... gute Christenmenschen erwischt ...«
    Lucia verstand nicht.
    »Aber die Seuche wütet auch in Hunderten von Christenhäusern!«, gab sie zu bedenken. »Wer bewacht denn die?«
    »Da ... da muss man ja eher auf ... aufpassen, dass sie nicht reinkommt!«, erklärte der Büttel ernst. »Weiß nicht, wie das gehen soll, und da hätten wir auch nicht ge ... genug Leute für. Aber die Judenhäuser hier, die haben wir im Griff! Hier kommt kei ... keiner mehr rein oder raus, bis alle gestorben sind!«
    Lucia war entsetzt.
    »Aber was ist, wenn einer

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