Die Pestärztin
Eure Grenzen, Medikus! Es ist nicht gut, den Teufel zu versuchen. Bleibt den Judenhäusern fern!«
In den nächsten Tagen ergab sich auch keine Möglichkeit für Clemens, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die neue Pestwelle schwemmte eine Flut von Opfern in sämtliche Hospize. Das Haus in der Augustinergasse war längst fast so überbelegt wie die Pflegehäuser der Mönche. Lucia, Clemens, Katrina und Bruder Caspar arbeiteten bis tief in die Nächte, um alles sauber zu halten und die Kranken so gut wie möglich zu versorgen.
Anfang August starb erneut eine Frau, während Clemens versuchte, ihre Pestbeulen zu öffnen. Die Geschwüre hatten sich unter den Zugsalben verkapselt; sie waren deutlich reif, öffneten sich aber nicht, und die Frau litt Höllenqualen. Clemens und Lucia hatten in vergleichbaren Fällen gute Erfolge mit der chirurgischen Öffnung erzielt, aber in diesem Fall versagte das Herz der Patientin, noch ehe der Eiter abfließen konnte.
»Das war es jetzt!«, erklärte Clemens, enttäuscht und von Schuldgefühlen geplagt. »Morgen suche ich diesen Juden auf. Wenn er nichts weiß, haben wir Pech gehabt, aber wenn er eine Ahnung hat ... Stell dir nur vor, wie vielen Menschen wir helfen könnten!«
Lucia widersprach diesmal nicht. Auch sie hatte der Tod der Frau tief erschüttert. In der Nacht schmiegte sie sich jedoch zitternd und Trost suchend in Clemens' Arme, und auch der Pestarzt fand keine Ruhe.
Am nächsten Morgen rechnete Lucia damit, dass er sich gleich auf den Weg machte, doch Clemens wartete ab.
»Der neue Geistliche von Sankt Quintin hat sich angesagt, um unseren Kranken die Letzte Ölung zu geben«, antwortete er auf ihre Frage. »Das will ich abwarten.«
»Schon wieder ein Neuer?«, erkundigte Katrina sich beiläufig. »Wieder einer von diesen Verrückten?«
»Gib acht, was du sagst!«, rügte Lucia, obwohl sie im Grunde genauso dachte. In der letzten Zeit strömten todesmutige junge Priester und Ordensleute in die Peststädte und brannten darauf, die Kranken zu pflegen. Dabei ließen sie jede Vorsicht außer Acht; ihr Ziel bestand darin, sich selbst zu opfern. Lucia und Clemens lehnten sie deshalb durchweg ab, wenn sie sich als Pfleger anboten. Ihre Weigerung, sich zu waschen und die essiggetränkten Schwämmchen vor die Nase zu halten, die Ibn Sina zur Vermeidung von Ansteckung empfahl, machten sie eher zu einer Gefahr für die Patienten denn zu einer Hilfe. Lucia hatte denn auch ein schlechtes Gewissen, die Priester unter ihnen als geistlichen Beistand anzufordern. Ihr Umgang mit den Kranken, die sie ungeniert berührten und sogar küssten, hatte zur Folge, dass sie sich reihenweise ansteckten. Auch brachten sie die Seuche vom Pesthaus in ihre Gemeinden.
»Sicher ein Irregeleiteter, aber ein Pfarrer«, erklärte Clemens. »Und ich möchte, dass er uns traut, Lucia. Ich will dir vor Recht und Gesetz angehören.«
Lucia errötete vor Freude. »Aber du ... ich bin nicht von Adel, und du ...«
»Ich bin mir der Konsequenzen meiner Handlungen bewusst, Lucia«, sagte Clemens streng. »Bitte bezweifle das nicht immer. Ich bin es müde, ständig Bedenken zu hören. Wir leben in gefährlichen Zeiten an einem gefährlichen Ort. Wir können jeden Tag an der Pest sterben. Da erscheint es mir ziemlich unwichtig, ob ich das als Ritter tue oder als einfacher Mann.«
Ein Adliger, der eine Bürgerliche heiratete, fiel auf deren Stand zurück.
Lucia griff nach seiner Hand. »Deine Familie wird das anders sehen ...«
»Du bist meine Familie«, sagte Clemens ruhig. »Und Ihr, Bruder Caspar. Und auch du, Katrina. Ich möchte, dass ihr beide unsere Zeugen werdet. Ich möchte Lucia zur Frau nehmen vor Gott und den Menschen.«
Lucia hatte kein Sonntagskleid mehr, und es fanden sich auch keine Blumen, aus denen sie einen Kranz hätte winden können. Dazu war der junge Geistliche, ein Asket mit fanatisch glühenden Augen, auch nicht begeistert von der Aufgabe, eine Ehe zu segnen. Er suchte den Tod, nicht das Leben, und es erschien ihm beinahe obszön, das Paar in einem Pesthaus zu trauen.
Clemens bestand allerdings darauf, und so verband er sie in einer eiligen, beiläufigen Zeremonie.
»Wir feiern eine richtige Hochzeit, wenn das alles hier vorbei ist!«, sagte Clemens tröstend zu seiner Braut, die eigentlich gar keines Trostes bedurfte. Lucia war zu überrascht und gerührt von seinem plötzlichen Entschluss, als dass sie irgendwelche Ansprüche gestellt hätte. Doch auch Angst wühlte
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