Die Pestärztin
überlebt? Mein Gatte ist dort drinnen. Er ist Pestarzt! Er mag einen oder zwei der Bewohner heilen!«
Der Büttel runzelte die Stirn und erschien auf einmal deutlich nüchterner.
»Das müsste dann ja wohl mit dem Teufel zugehen! Wenn von dem Judenpack einer die Pestilenz überlebt, hätte er einiges zu erklären! Und dein Mann? Du bist mit einem Juden verbandelt?«
Der Büttel hatte sie bisher mit Wohlwollen betrachtet, aber jetzt drückte sein Blick nur Abscheu aus.
»Mein Gatte und ich sind gute Christen. Habt Ihr nie von mir gehört? Lucia, die Pestärztin. Und mein Gatte ist Clemens von Treist!«
Die Männer lachten lauthals.
»Du Süße willst die Pestärztin sein?«, höhnte einer von ihnen. »Die aus der Augustinergasse? Wo ist denn deine Maske? Die Pestärztin hab ich wohl ein oder zweimal gesehen. Aber da versteckt sich doch eine alte Vettel hinter all den Tüchern und der Schnabelnase ...«
Lucia biss sich auf die Lippen. Tatsächlich hatte sie sich bei ihren seltenen Ausgängen in den letzten Wochen stets Clemens Schutzkleidung geliehen. Nicht so sehr, weil sie die Schnabelmaske als sicherer einschätzte denn ihre sonstige Verschleierung, sondern einfach, um nicht als Frau erkannt zu werden. Die Straßen waren unsicherer denn je; es war auch Wahnsinn gewesen, heute nur leicht verschleiert auszugehen. Dazu hier, in die Nähe des »Güldenen Rades« ...
»Und da drin sind auch nur Juden!« Der andere Büttel schien Lucia trösten zu wollen. Er schien von sanfterer Wesensart und hatte wohl ihren verzweifelten Ausdruck bemerkt. »Glaub's mir, Kleine, ich hab's selbst überprüft. Keiner ohne Judenzeichen auf der Kleidung. Also mach dir keine Sorgen. Dein Gatte wird sonst wo sein ...«
Lucia gab es vorerst auf, auch, weil die erste Dämmerung sich langsam über die Stadt senkte. Es würde Clemens nichts helfen, wenn man sie auf dem Weg entführte, schändete oder gar umbrachte. Und mit den Bütteln war nicht zu reden. Allerdings warf sie noch einmal einen prüfenden Blick auf das Haus des Arztes. Es war dreigeschossig, wie das der Speyers, aber sehr schmal und eingeschlossen zwischen zwei anderen Gebäuden. Eine Hofeinfahrt gab es nicht und auch keine Innenhöfe. Allerdings mochte seine Rückfront von einem Hof der umliegenden Häuser erreichbar sein. Lucias Herz klopfte heftig, als sie eines dieser Häuser erkannte: Es war der schmucke, dreigeschossige Bau mit zwei Innenhöfen, den Eliasar ben Mose für seinen Sohn Juda und dessen Gattin Lea erstanden hatte! Und mit Gottes Hilfe war Juda nach wie vor auf Reisen! Lea würde sie einlassen. Und eine Leiter musste es in diesem großen Hause auch geben.
Lucia musste nur zusehen, dass sie morgen mit Lea in Verbindung treten konnte. Es war riskant, aber auch sie konnte Judenringe an ihre Kleider nähen. Wenn es ihr dann gelänge, Clemens durch ein Fenster zu befreien, konnte Lea sie beide gefahrlos aus dem Haus lassen, und sie würden einfach an den Bütteln vorbeispazieren.
Lucia schöpfte neuen Mut. Zumal Clemens im Haus des Arztes sicher nicht gefährdet war. Solange die Büttel vor der Tür standen, würde niemand in die Häuser der »Brunnenvergifter« eindringen, erst recht nicht in ein Haus, in dem die Pest wütete.
9
L ucia pflegte inzwischen so viele Monate lang Pestkranke, dass sie keine Ansteckung mehr fürchtete. Sie wusste nicht, warum sie gegen die Krankheit gefeit schien, aber sie hatte Ähnliches auch schon bei anderen Angehörigen ihrer Patienten beobachtet: Da starben ganze Familien, doch ein Mann oder eine Frau blieb verschont. Dabei meinten die Betreffenden anfangs auch, sie müssten erkranken. Meist litten sie unter Kopf- und Gliederschmerzen, manchmal auch leichtem Fieber, wenn sie ihre Angehörigen ins Pesthaus brachten. Aber nach einer Nacht guten Schlafs waren diese Beschwerden wie weggeblasen - ähnlich, wie es Lucia ergangen war, als sie Meister Wormser gepflegt hatte.
Sie fragte sich allmählich, ob der Pesthauch manche Menschen einfach nur streifte, dabei aber ebenso immun gegen weitere Ansteckung werden ließ wie Katrina und die anderen Überlebenden.
So fürchtete Lucia auch nicht um Clemens, obwohl er in einem Pesthaus eingeschlossen war. Lea dagegen hatte Bedenken, sich dem Hinterhof, über den Lucia ihren Mann befreien wollte, auch nur zu nähern.
»Ich will dir ja gern helfen«, meinte sie, nachdem sie sich von dem ersten Schreck erholt hatte, dass die Freundin tief verschleiert und gezeichnet mit dem Judenring
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