Die Pestglocke
Dann ging ich ins Schlafzimmer und zog die Vorhänge zu, stellte den Wecker, zog mich aus und legte mich aufs Bett.
34. Kapitel
7.30 Uhr. Die roten Ziffern meines Radioweckers wirkten nachdrücklicher als sonst. Dann begriff ich, wieso. Sie wurden von hämmernden Klaviertasten untermalt. Wie verrückt gewordene Skelette stürmten und stolperten sie die Tonleitern eines unbekannten Scherzos hinauf und hinunter. Ein lärmender Eindringling hatte sich offenbar in das sonst viel sanftere Morgenprogramm von Lyric FM geschlichen. Das Stück endete mit einem Knall, der dem Zufallen eines Klavierdeckels nicht unähnlich war. Der Sprecher verriet anschließend, dass es sich um das »Stolpernde Scherzo« aus dem dritten Symphoniekonzert von Henry Litloff handelte und fügte an, die »stolpernden« Figuren seien durch »weitschweifige Accacciaturas« hervorgerufen worden, was ich ihm aufs Wort glaubte. Endlich dämmerte mir, dass es Abend war, nicht Morgen, und dass ich zwei Stunden lang geschlafen hatte.
Ich stand auf und schlüpfte in einen seidenen Kimono. Boo, der rücklings auf dem Schlafzimmerboden gelegen hatte, flitzte vor mir her und lief zur Haustür, wo er einmal zart miaute, damit ich ihn hinausließ. Er verfügte über eine wunderbare Katzenklappe in der hinteren Tür, aber er stellte mir gern Aufgaben, um seinen Menschen daran zu erinnern, wer der Chef war. Doch als ich nach der Tür griff, ging er in die Hocke und schnupperte an der Luft, die darunter durchkam. Dann machte er kehrt und sauste zurück in den Flur.
Neugierig geworden, öffnete ich die Tür. Draußen stand Groot; er sah sehr ordentlich aus, mit glatt rasiertem Kinn. Hinter ihm wartete ein Taxi mit leise laufendem Motor, und er hielt einen großen Strauß wundervoll duftender Blumen in der Hand.
»Es tut mir leid«, sagte er und überreichte mir den Strauß. Der Duft der Blumen strich mir zärtlich übers Gesicht, und unwillkürlich schloss ich die Augen, als ich ihr berauschendes Aroma einatmete.
Ich schüttelte mich aus meiner halben Trance, öffnete die Augen und lächelte. »Kommen Sie herein.«
Groot seufzte erleichtert, schickte das Taxi fort und folgte mir ins Haus.
Ich führte ihn ins Wohnzimmer und bat ihn, Platz zu nehmen, während ich nach einer Vase für die Blumen suchte. Die von Finian standen noch da und sahen ein wenig verwelkt aus, aber sie jetzt sofort hinauszuschmeißen, wäre irgendwie unfair gewesen.
»Ich fahre morgen nach Dublin«, sagte er. »Und man soll nie im Streit auseinandergehen.«
»Und außerdem müssen Sie mich noch auf den neuesten Stand über alles bringen«, sagte ich, als ich mit einer zweiten Vase aus der Küche zurückkam.
Er zeigte sein Lächeln, aber nur kurz. »Matt hat mir das von Ihrem Vater erzählt«, sagte er. »Sie sind sicher aufgewühlt, aber vielleicht auch ein wenig erleichtert.«
»Das trifft es so ziemlich.« Ich stellte die Vase auf den Kaffeetisch und begann die Blumen hineinzustecken, wobei ich von einigen Stängeln die Enden abschnitt, um die gewünschte Länge zu erzielen. »Aber nun machen Sie schon. Ich will wissen, was es Neues gibt.«
»Also gut. Was die medizinische Front angeht, haben Sie wahrscheinlich bereits gehört, dass man bei Joseph Ngozi TBC festgestellt hat, nicht Melioidosis – genau wie ich dachte.«
»Ich nahm an, dass die Quarantäne deshalb aufgehoben wurde.«
Er nickte. »Die andere Neuigkeit ist, dass die menschlichen Überreste, die Sie gefunden haben, von Latifah Hassan stammen, wie wir sie wohl nennen sollten. Ich erspare Ihnen die grausigen Details.«
»Ich bitte darum. Konnten Sie feststellen, ob sie Melioidosis hatte?«
»Noch nicht. Es gab wahrscheinlich reichlich Erreger in den Blutergüssen in ihrer Brusthöhle – und davon haben Sie im CRID bereits Proben. Ich rechne für morgen mit einer Nachricht, genau wie über die Spuren an dem Fleischmesser.«
»Und wenn der Erreger bestätigt wird, ist eine Verbindung von ihr zu Terry Johnston hergestellt.«
»Ich glaube, das hat die Notiz bereits getan, die Sie mir unter der Tür durchgeschoben haben.«
»Inwiefern?«
»Ganz einfach. Jedenfalls, wenn man weiß, wer Saartje Baartman war, und diesbezüglich ist man als Südafrikaner entschieden im Vorteil.«
»Wer ist Saartje Baartman?«
»Nennen wir sie Sarah, wie sie im Englischen heißt. Sie war die Hottentotten-Venus. Aber sie ist seit beinahe zweihundert Jahren tot.«
Ich setzte mich gegenüber von Groot. »Ich glaube, das müssen Sie mir
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