Die Pestglocke
eingefallen, dass ich vor lauter Hektik vergessen habe, dich auf einen Drink nach der Arbeit einzuladen.«
Gayle legte eine Hand auf die Stirn. »Hör bloß auf mit Drinks«, stöhnte sie. »Mit der Party am Mittwochabend und Terrys Geburtstag am Montag habe ich es diese Woche wirklich übertrieben. Also vielen Dank auch, Illaun, aber keine Drinks mehr für mich. Bis morgen, meine ich. Teneriffa, ich komme!« Sie packte den ahnungslosen Brian und tanzte mit ihm davon.
Ein Stück entfernt flüsterte sie ihm etwas ins Ohr. Er nickte, und die beiden kamen zu mir zurück; sie sahen ein wenig verlegen aus.
»Du hattest recht, dass ihre Krone teilweise aus Gips ist«, sagte Brian.
Gayle schob eine Hand in die Tasche ihrer Jeans und gab mir ein Stück vergoldeter Kreide, nicht größer als ein Stück Schokolade. »Wir sind beim Herausheben aus Versehen mit der Krone angestoßen. Es ist eines der .« Sie zeichnete mit dem Zeigefinger eine Figur in die Luft.
»Fleurons«, sagte ich. »Ich muss sagen, ich habe gar nicht bemerkt, dass es fehlt. Und in gewisser Weise wird es sehr nützlich sein.«
Beide waren erleichtert.
»Aber zur Strafe …«
Sie zuckten zusammen.
Ich gab Brian das Stück. »… packst du das hier bruchsicher ein und schickst es per Kurier an Muriel Blunden vom Nationalmuseum.«
»Und das ist alles? – Klar«, sagte er und grinste breit.
»Gayle …« Ich schaute auf meine Uhr. »Ich mache mir ein wenig Sorgen, dass Leute mit dem ausgelaufenen Zeug in Berührung kommen könnten. Die Stadtverwaltung sieht sich nicht in der Lage, eine Bewachung des Geländes zu organisieren, deshalb frage ich mich, ob wir selbst jemanden aufstellen sollten. Wie steht es mit Ben? Meinst du, er ist verfügbar?«
»Big Ben? Das bezweifle ich. Er hat vor etwa einer Stunde auf dem Ausgrabungsgelände vorbeigeschaut. Er sagte, er würde heute Abend einen neuen Job anfangen und wollte seinen Wochenlohn. Ich hab ihn zu Peggy geschickt.«
Benjamin »Big Ben« Adelola hatte während der gesamten Ausgrabung sechs Nächte die Woche Wachdienst geschoben. Ironischerweise übernahm Terry Johnston in der Regel seine freien Nächte.
Wir bewegten uns in Richtung Tür. »Also gut, dann wird es eben die stichprobenweise Überwachung durch die Stadt tun müssen. Und jetzt ab mit euch beiden.« Ich umarmte Gayle. »Ich wünsche dir einen tollen Urlaub.«
»Hoppla, die hätte ich fast vergessen ...« Sie holte die Digitalkamera aus ihrer Tasche und gab sie mir. »Wie geht es übrigens Terry? Ich hätte schon längst fragen sollen.«
»Sie behalten ihn zur Beobachtung dort. Aber er ist bestimmt okay.«
»Ich schau später noch kurz bei ihm vorbei und sag gute Nacht«, sagte Gayle.
An der Tür angekommen, drehte sie sich noch einmal zur Statue um. »War übrigens komisch, wie Big Ben auf sie reagiert hat. Ein kräftiger Kerl wie er.«
»Wie meinst du das?«
»Wir hatten sie gerade aus dem Sarg befreit und aufgestellt, als er kam. Wir baten ihn, uns dabei zu helfen, sie in den Pickup zu laden, den Peggy organisiert hatte. Du kennst ja Ben, er ist immer äußerst zuvorkommend – aber er weigerte sich, der Statue auch nur nahe zu kommen. Ich könnte schwören, er hatte Angst vor ihr.«
6. Kapitel
A ls ich ins Büro zurückkam, lud ich Gayles Fotos in mein Notebook und schickte sie per EMail an Muriel Blunden, die Ausgrabungsleiterin des Nationalmuseums. Ich fügte einen kurzen Bericht der Umstände an, unter denen das Artefakt gefunden worden war, und bat sie, sich bei mir zu melden, sobald sie Gelegenheit gehabt hatte, sich die Bilder anzusehen.
Das Büro war wie ein Backofen – Peggy hatte die Fenster und Türen verschlossen, ehe sie ins Wochenende gegangen war. Ich öffnete sie allesamt wieder und auch die Tür zur Veranda, wo ich eine Weile stand und mich von der kühleren Luft umwehen ließ.
Muriel Blunden und ich hatten eine seltsame Beziehung. Ein halbes Jahr zuvor hatten wir wegen eines Fundes unweit der Ganggräber von Newgrange die Klingen gekreuzt. Im Verlauf der Geschichte war ich hinter ihre Affäre mit einem Minister gekommen – sie hatte sich inzwischen von dem Mann getrennt. Aber irgendetwas an der Art, wie ich damals mit ihr umgegangen war, und die Tatsache, dass ich sie von einer unerwartet verletzlichen Seite kennengelernt hatte, hatte uns einander näher gebracht – aus ihrer Sicht jedenfalls. Muriel Blunden nahe zu sein, war nur leider ein bisschen wie mit einem Kaktus zu schmusen.
Als sie mich eine halbe
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