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Die Pestglocke

Die Pestglocke

Titel: Die Pestglocke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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wieso war die Fuge nicht mit Tuch und Gips überdeckt worden? Es war ein überraschender Makel in einem ansonsten vollkommenen Werk. Eine Montags-Madonna mit Kind?
    »Ah, da ist sie ja«, sagte eine Stimme vom Eingang her. Wir drehten uns alle zugleich um und sahen Pfarrer Louis Burke, den Gemeindepriester von Castleboyne, auf uns zuschweben – eine Wirkung, die er dadurch erzielte, dass er winzige Trippelschritte machte. Sein silbrig-weißes Haar war sorgfältig gekämmt, und er trug graue Priesterkleidung; die hellere Farbe war sein einziges Zugeständnis an das sommerliche Wetter.
    »Ach, und du meine Güte. Es ist eine Maria Lac-tans ... wir hatten ja keine Ahnung.«
    Seine Wangen glänzten wie polierte Äpfel, und seine Augen blitzten vor Begeisterung.
    »Was soll das heißen: ›Wir hatten ja keine Ahnung‹?«, fragte ich, als er stehen blieb, um die Statue zu bewundern.
    »Dass sie eine Maria Lactans war – eine stillende Madonna.«
    Ich sah ihn verständnislos an. »Sie?«
    »Die Muttergottes von Castleboyne. Das muss ihr Bildnis sein.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das wurde zerstört.«
    »Ach, aber stimmt das denn auch? Es gab immer zwei Geschichten über ihr Schicksal .«
    »Ja, ich weiß, Hochwürden – aber beide enden mit ihrer Zerstörung.«
    »Diese Geschichten wurden möglicherweise nur in die Welt gesetzt, um ihre Feinde zu verwirren.«
    Er stieg auf die kleine Bühne und lief ein paar Mal hin und her, um die Figur aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. »Hm … und ein roter Umhang auch noch … Waren natürlich andere Zeiten, damals .«
    Pfarrer Burke setzte zu einem Vortrag an, wie ein Experte in einer Antiquitätensendung im Fernsehen, der über die Herkunft eines Artefakts spekuliert. »Die alten Annalen enthalten zahlreiche Anspielungen auf das wundertätige Bildnis der Muttergottes von Castleboyne. Aber leider wurde uns keine Beschreibung überliefert. Seine Ursprünge liegen in geheimnisvollem Dunkel – wurde es über das Meer hierhergebracht, war es das Werk irischer Künstler?« Er sah mich an. »Vielleicht sind wir ja dabei, es endlich herauszufinden.« Er stieg von dem Podium. »In der Zwischenzeit erhebe ich im Namen der Gläubigen von Castleboyne Anspruch auf sie. Wir werden sie auf ihrem eigenen Altar aufstellen, dem beim Fenster – oder finden Sie das nicht angemessen?«
    »Langsam, Herr Pfarrer. Im Augenblick wird sie erst mal nirgendwo aufgestellt.«
    »Ich weiß, Sie müssen Ihren Fund dokumentieren und alles. Aber sie wird auf keinen Fall in einem Museum enden. Die Muttergottes von Castleboyne steht für den lebendigen Glauben, von dem sich dieses Land immer mehr abwendet. Ich betrachte ihre Entdeckung als ein Zeichen – vergessen Sie nicht, es ist der Marienmonat .«
    »Und es ist der Vierundzwanzigste«, sagte Gayle. »Ich weiß das, weil ab morgen mein Jahresurlaub beginnt – juchhu!«
    Mist! Ich hatte vergessen, sie und alle, die noch da waren, nach der Arbeit auf einen Abschiedstrunk im Büro einzuladen. Zum Glück hatte Peggy – meine Sekretärin – die offizielle Party zum Abschluss des Projekts schon für Mittwochabend organisiert, weil viele aus dem Team bereits am nächsten Tag oder Freitagmittag abgereist waren.
    »Ja, es ist beinahe ein Wunder«, sagte Pfarrer Burke und streckte seine Hand in Richtung des Kindes aus. »Und der große Festtag ihres Sohnes, Fronleichnam, steht auch kurz bevor. Bis dahin hätte ich sie gern zurück.«
    Er gebärdete sich bereits als Besitzer.
    »Bei allem Respekt, Hochwürden, aber die Entscheidung über die Zukunft der Statue liegt nicht mehr in unserer Hand, sobald ich das Nationalmuseum von dem Fund unterrichtet habe. Nach den Bestimmungen unserer Grabungskonzession kann das Museum Anspruch auf alle archäologischen Objekte erheben, die wir finden.«
    Der Priester tat mein Argument mit einer Handbewegung ab. »Sie befand sich bereits in Castleboyne, bevor die Normannen eintrafen. Und ich verspreche Ihnen, dass sie noch hier sein wird, wenn wir beide längst nicht mehr da sind.«
    Und mit diesen Worten ging Pfarrer Burke.
    »Er wirkt ziemlich entschlossen, was?«, sagte Gayle.
    »Und er hat auch nicht ganz unrecht«, fügte Brian an.
    »Und außerdem irrt er sich«, sagte ich. »Sie ist nicht die Muttergottes von Castleboyne.«
    »Was macht dich da so sicher?«
    »Der Schwung ihrer Hüfte.«
    Die beiden sahen mich verwundert an.
    Ich schaute auf die Uhr. »Ich erkläre es ein andermal. Gayle, mir ist gerade

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