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Die Pestglocke

Die Pestglocke

Titel: Die Pestglocke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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dem Weg ins Zentrum für Ansteckungskrankheiten, und der Grabungsarbeiter – er heißt Terry Johnston – wird im St.-Loman-Krankenhaus untersucht. Ich schlage vor, Sie sperren den unmittelbaren Bereich um die Austrittstelle, bis die Ergebnisse da sind.«
    Dieses unerwartete Problem ließ Usher aufstöhnen.
    Bei der Fahrt zurück zum Friedhof gingen mir tausend Spekulationen über die Bleisärge durch den Kopf. Die Maudlins, wie das Areal allgemein genannt wurde, waren ursprünglich ein Begräbnisort für Aussätzige gewesen. Das Krankenhaus der Magdalenerinnen, oder auch Lazarushaus, das dazugehörte, lag in den Außenbereichen der Stadt -die gängige Praxis im Mittelalter. Wir hatten im Lauf der Ausgrabung zweifelsfrei bewiesen, dass tatsächlich Leprakranke, wenn auch nur eine geringe Zahl, auf dem Friedhof beigesetzt worden war -die Art und Weise, in der die Krankheit die Knochen auffrisst, ist unverkennbar. Aber wir hatten ebenfalls gezeigt, dass der Ort Mitte des 14. Jahrhunderts als Pestgrube benutzt worden war, und die Leichen, die dort im Laufe eines einzigen Jahres begraben wurden, überstiegen bei Weitem die Zahl der Aussätzigen, die man in den hundert Jahren zuvor zur letzten Ruhe gebettet hatte.
    Doch weder Lepra- noch Pestopfer hatte man in Särgen irgendwelcher Art beigesetzt, schon gar nicht in kostspieligen Modellen aus Blei. Wer waren also die Insassen dieser Särge? Wann hatte man sie in dem Gewölbe beerdigt und warum?
    Ich konnte den Zeitraum ausschließen, in dem die meisten Leprakranken gestorben waren. Mit Blei ausgekleidete Särge kamen erst Mitte bis Ende des 14. Jahrhunderts unter den Reichen Irlands in Gebrauch, zu einer Zeit, in der Lepra scheinbar von der Pest ausgelöscht wurde – eine Nebenwirkung, die die Leute der damaligen Zeit kaum getröstet haben dürfte. Aber Särge aus Blei müssen bestellt, angefertigt und geliefert werden; ein angemessener Ort muss für sie reserviert sein – alles Dinge, die nicht stattfanden, wenn der Schwarze Tod wütete. 1348 hatte man in Castleboyne Glück, wenn man in ein Laken gehüllt wurde.
    Die Beisetzung in einer Kirche, nahe des Hauptaltars oder woanders, war das Privileg der Frommen und Mächtigen. Man nannte es ein Begräbnis ad sanctos - das hieß, in der Nähe der jeweiligen Heiligen- oder Märtyrerreliquien, die sich die Kirche hatte sichern können. Aber die Kapelle des Lazarushauses war unter den vielen Stätten der Anbetung des mittelalterlichen Castleboyne die am wenigsten prestigeträchtige. Und dennoch hatten zwei Leute – möglicherweise Mann und Frau, nach den Größenunterschieden der Särge zu urteilen – es fertiggebracht, in bleiverkleideten Särgen dort in einer winzigen Gruft beerdigt zu werden. Es roch nach Größenwahn.

4. Kapitel
    B ei meiner Ankunft in den Maudlins standen zwar Absperrgitter im Kreis um die kontaminierte Erde und das eingestürzte Gewölbe, aber von Warnschildern war nichts zu sehen. Mehr Sorge bereitete mir jedoch, dass der zweite Sarg noch an derselben Stelle wie zuvor im Gras stand. Aus irgendeinem Grund hatte man eine blaue Plane über seinen oberen Teil gelegt.
    Gayle rannte quer über das größtenteils wieder aufgefüllte Ausgrabungsgelände, um mich am Tor zu begrüßen. »Wir warten noch ... auf die Schilder«, keuchte sie.
    »Nur die Ruhe. Du kannst nicht alles auf einmal schaffen.« Ich gab ihr Zeit, zu Atem zu kommen. »Aber wieso hast du den anderen Sarg dort stehen gelassen?« Ich zeigte nach oben.
    »Wie ich heute Morgen am Telefon schon sagte: Du musst es dir selbst ansehen.«
    Mich ärgerte die Geheimnistuerei. »Kannst du mir nicht einfach sagen, was ich mir ansehen muss?«
    »Es ist schwer zu beschreiben«, antwortete sie, während wir in Richtung des Sargs gingen.
    »Wir tragen keine Schutzkleidung«, bemerkte ich.
    Gayle schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Das wollte ich ja gerade erklären, als der Unfall passiert ist. Vertrau mir.« Sie hüpfte voraus und erreichte den Sarg vor mir. »Voila!«, rief sie und zog wie ein Zauberer die Plane weg.
    Der Deckel war so weit zurückgeschoben, dass das Gesicht einer Frau zu sehen war, blass, aber mit rosigen Wangen. Ihre himmelblauen Augen waren weit offen und starrten mich an. Ich wusste, dass das Gift im Blei den Zerfall von Leichen stoppen konnte, aber die hier schien förmlich zu neuem Leben erweckt.
    Und dann begriff ich, dass ich eine bemalte Statue vor mir hatte.
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Ich weiß«, sagte Gayle.

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