Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pestglocke

Die Pestglocke

Titel: Die Pestglocke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
Vom Netzwerk:
eingeborenen Iren gefunden hat) nicht im Kloster aufzustellen; sie sagen, es sei das Bildnis gewesen, das Wunder gewirkt habe, noch ehe Fay die Reliquie aus Jerusalem mitgebracht habe. Es herrscht großer Aufruhr unter den Leuten, und Bürger wie Pilger, deren Hingabe dem Bildnis gilt, drohen, den Reliquienschrein zu zerstören.‹ Bischof Geoffrey antwortete dem Abt, der neue Reliquienschrein und der Hauptschatz des Schreins sollten zur Sicherheit versteckt werden, bis der Bürgerstreit vorüber sei, und man solle Johanna, Comitis Marchiae, mit dieser Aufgabe betreuen.«
    Der nächste Eintrag handelte von der Anwesenheit fremdartiger Pilger und der Ankunft des Schwarzen Todes.
    »Ich hab's«, rief ich, sprang von meinem Stuhl auf und fuchtelte mit den Blättern vor Finians Gesicht herum. Seine überraschte Miene brachte mich zum Lachen.
    »Hey, nur die Ruhe, Illaun«, sagte er. »Ich habe als Geschichtslehrer zwar immer gesagt, Geschichte sollte Spaß machen – aber so sehr nun auch wieder nicht.«
    »Das ist so aufregend! Erstens gab es einen Monat vor der Ankunft des Schwarzen Todes in Castleboyne eine große Auseinandersetzung in der Stadt wegen eines neu in Dienst gestellten Reliquienschreins. Für uns liest es sich wie eine Meinungsverschiedenheit über eine abstruse kirchliche Angelegenheit, aber das war es nicht, verstehst du, das war es nicht!«
    Finian blinzelte wie eine Eule.
    »Ich erkläre es gleich. Das Ergebnis war, dass der Reliquienschrein und der Hauptschatz des Schreins, den du gestern Abend erwähnt hast, Johanna, Comitis Marchiae, anvertraut wurden – in anderen Worten ...«
    »Joan, Gräfin von March. Joan Mortimer.«
    »Richtig. Und rate, was dieser neue Reliquienschrein war?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Ich glaube, es war die Statue, die wir letzte Woche gefunden haben. Es ist doch wohl klar, dass ein Reliquienschrein, der einen solchen Wirbel auslöste, außergewöhnlich gewesen sein musste. Deshalb hat mich Mortimer gefragt, ob die Statue hohl sei. Er hatte sie noch nie gesehen, aber er kannte ihre Funktion bereits.«
    »Ihre Funktion? Ich stelle mir Reliquienschreine immer als kleinere Behälter aus Metall, Holz und vielleicht Glas vor. Aber eine ganze Statue? Und was sollte sie enthalten?«
    »Eine Reliquie, die Lord Robert de Fay aus Jerusalem mitgebracht hatte.«
    Finian zupfte an seinem Bart – ein Zeichen, dass er verwirrt war. »Aber sie hatten bereits eine Statue. Wozu brauchten sie noch eine?«
    »Das ist die entscheidende Frage. Die Auseinandersetzung in der Stadt spielte sich zwischen jenen ab, die an de Fays Reliquie glaubten, und jenen, die glaubten, es sei das Bildnis der Heiligen Jungfrau, das die Wunder wirkte, nicht die Reliquie. Letztere fürchteten offenbar, wenn die Reliquie in ihrem neuen Behältnis – einer lebensgroßen Statue – in der Abtei installiert werde, würde sie das Original überstrahlen oder sogar dessen Kräfte aufheben.«
    Finian zupfte immer noch an seinem Bart. »Ich glaube, ich bin nach wie vor nicht im Bilde.«
    Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz. »Das ist es! Das ist es! Jetzt ergibt alles einen Sinn. Ach, Finian ...« Ich fiel ihm um den Hals. Der Arme war völlig verdutzt.
    Ich setzte mich wieder an meinen Fensterplatz. »Ich habe es neulich Abend in den späteren Einträgen auch schon bemerkt – es ist immer nur vom ›Bildnis‹ der Heiligen Maria die Rede. Wir haben automatisch angenommen, es handle sich um eine Statue, aber das steht nirgendwo. Wenn das Bildnis vom vierten Kreuzzug – also von der Plünderung Konstantinopels – mitgebracht wurde, dann ist es gut möglich, dass es gar keine Statue war, sondern eine Ikone. Unsere Muttergottes von Castleboyne war ein Gemälde!«
    Finian machte wieder sein Eulengesicht.
    »Und das würde erklären, was um 1348 in der Stadt geschah«, fuhr ich fort. »Stell dir die Situation vor: Der Bischof will unbedingt einen schönen neuen Reliquienschrein haben, um de Fays Reliquie rechtzeitig zum Heiligen Jahr 1350 unterzubringen. Ein Haufen Geld wird gesammelt und geht übers Meer, wahrscheinlich mit einer nur vagen Beschreibung, was benötigt wird. Auf dem Kontinent sind Reliquienschreine in großem Maßstab in Mode, und eine vielfarbige hölzerne Jungfrau mit Kind – eine Maria Lactans noch dazu – gehört zum Besten, was die Werkstätten in Deutschland oder Frankreich herstellen können. Der Reliquienschrein kommt zurück, aber – auweia! – er entspricht nicht ganz den Erwartungen

Weitere Kostenlose Bücher