Die Pestglocke
mancher Leute. Er wird ihre geliebte Ikone in den Schatten stellen – eine grell gekleidete, dreidimensionale Sirene gegen ein vom Rauch dunkel gewordenes Gemälde von der Größe einer gerahmten Fotografie. Sie wird die Atmosphäre stören, die sich über anderthalb Jahrhunderte aufgebaut hat. Nein danke – ihr könnt sie behalten.«
»Und du denkst, deswegen war hier der Teufel los?«
»Ja. Und ich glaube, dass Joan Mortimer vertrauenswürdige Leute angeheuert hat, um die Statue und den ›Hauptschatz‹ – was immer das war -zu verstecken, aber als der Schwarze Tod in die Stadt kam, wurden die Vertrauensleute ausgelöscht, und die gewählten Verstecke gerieten in Vergessenheit. Oder vielleicht wurde der Schatz später geborgen, aber die Statue blieb verschollen. Die Pest warf eine Gesellschaft gehörig durcheinander.«
»Vielleicht ließ man die Statue auch absichtlich, wo sie war«, sagte Finian.
»Wieso das?«
»Wegen des Konflikts, den sie verursacht hatte.«
»Aber sie war viel zu wertvoll, als dass man sie einfach weggeworfen hätte. Man hätte sie auch verkaufen können.«
»Vielleicht hatte die Statue etwas anderes an sich, was die Leute störte.«
Finian und ich waren in Fahrt. Wie in alten Zeiten. Ich dachte über das nach, was er gerade gesagt hatte.
»Hm. In diese Richtung habe ich auch schon überlegt und mich gefragt, ob ihre Ähnlichkeit mit Maria Magdalena die Leute vielleicht befremdet hat. Aber da die einheimische Bevölkerung die Statue mochte, ist es unwahrscheinlich, dass sie als unorthodox angesehen wurde. Maria als die Mutter Gottes wurde in der keltischen Christenheit durchaus verehrt.«
»Das Außergewöhnliche dabei ist, dass das ursprüngliche Bildnis – ob Ikone, Statue oder Fresko – noch einmal zweihundert Jahre lang überlebt hat.«
»Ja, das ist erstaunlich.« Aber damit würden wir uns ein andermal beschäftigen. »Schauen wir uns noch ein paar andere Dinge in diesen Einträgen an. Zum Beispiel habe ich noch nie gehört, dass jemand zum Hungertod ad dietam verurteilt wurde. Was bedeutet das?«
Finian verschränkte die Hände hinter den Kopf und lehnte sich zurück. »Das war eine grausame Bestrafung, die mit einem makabren Sinn für Humor verhängt wurde. Am ersten Tag im Gefängnis bekam der Unglückliche drei Bissen altes Brot; am nächsten Tag drei Mundvoll Wasser aus einer Pfütze. Und so ging es weiter, bis er starb.«
»Wie grässlich, jemandem so etwas anzutun.«
»Ja. Vor allem, da es eine sehr viel angenehmere Alternative gab – nämlich unter schweren Steinplatten zu Tode gequetscht zu werden.«
»Sehr witzig. Du klingst wie einer der Spaßvögel, die sich dietam ausgedacht haben. Und wer war Donncadh MacMurrough?«
»Der Vater von Dermot MacMurrough – Dermot war der Mann, der die Anglo-Normannen einlud, von Wales herüberzukommen, und so den Lauf der irischen Geschichte verändert hat. Donncadh war ein Scheusal und als Herrscher von Dublin äußerst unpopulär.«
»Und wie ist er gestorben?«
»Die Bürger haben ihn während einer Sitzung in der Versammlungshalle ermordet. Aber er ist mehr dafür in Erinnerung geblieben, was nach seinem Tod mit ihm geschah. Da es tabu war, dass ein Leichnam mit einem Tier in Berührung kam, haben sie ihn als Zeichen der Verachtung zusammen mit einem Hund begraben.«
»O mein Gott …« Konnte das sein?
»Alles in Ordnung?« Finian setzte sich gerade, aufgeschreckt durch meine Reaktion. Ich hatte, ohne es zu bemerken, die Hand an die Stirn geschlagen.
»Ja, ja. Es ist nur ... es könnte sein, dass die menschlichen Überreste, die wir in dem Bleisarg gefunden haben, die von Maurice Tuite waren.« Ich erzählte Finian vom Resultat der Laboruntersuchung im Seuchenzentrum.
»Warum oder wie wurde dann der Sarg neben ihm – falls er es denn war – zum Versteck der Statue?«
»Gibt es noch weitere Verweise auf ihn in der Datenbank?«
»Mal sehen.« Finian wandte sich wieder dem Computer zu. Mir fiel ein, dass der Sarg mit der Statue der kleinere der beiden war – vielleicht für eine weibliche Leiche gedacht? Erneut hörte ich irgendwo in der Ferne ein Telefon läuten, was merkwürdig war: Finians Apparat stand auf dem Schreibtisch und hätte ebenfalls läuten müssen.
»Über ihn selbst finde ich nichts. Aber es gibt einen Eintrag zum Tod seiner Frau 1362.«
»Was steht genau drin?«
»Weihnachten: Fionnuala Ni Cheallaig, Witwe von Maurice Tuite, starb und wurde im Friedhof des Klosters beigesetzt, in dem
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