Die Pestspur
als ehrsüchtig, verlogen und besonders geschwätzig galt, interessierte jetzt niemanden – diejenigen, die das, was er dem Kastellan erzählt hatte, mitgehört hatten, glaubten ihm einfach. Nur der glaubte kein Wort von dem, was er in der vergangenen halben Stunde alles zu hören bekommen hatte. Was mir Konstanze vom letzten Markt berichtet hat, ist ja noch harmlos, grübelte er, nachdem er mindestens zehn verschiedene Versionen gehört und gebetsmühlenartig zu dementieren versucht hatte.
»Es ist eine Frage der Zeit, bis die Pest nach Staufen kommt … wenn sie nicht schon unter uns ist und nach Beute Ausschau hält«, raunten die Leute und begannen, gegenseitige Berührungen zu vermeiden.
Jetzt bekam er so richtig mit, wie ernst die Sache von den Staufnern genommen wurde und dass sich die meisten Menschen in panischer Angst vor der Pest in den Häusern eingeschlossen gehabt hatten und dies jetzt wohl wieder tun werden.
»Ich darf nicht zulassen, dass sich die Staufner von ihrem eigenen Geschwätz zermürben lassen. Die Konsequenzen wären schrecklich … Immerhin bin ich der Ortsvorsteher«, lächelte er und pfiff mehrmals durch die Finger, während er sich an einer gut einsehbaren Stelle postierte. »Meine Staufner! Kommt her. Ich habe euch etwas mitzuteilen«, rief er und winkte die Marktbesucher mit den Armen zu sich.
Innerhalb kürzester Zeit war er von Menschen umringt. Dabei fiel ihm auf, dass die meisten davon Auswärtige waren. Offensichtlich hatten sich doch noch nicht allzu viele Einheimische aus ihren Behausungen getraut … oder gleich wieder dahin verzogen, als die neuen Gerüchte zu wirken begonnen hatten.
»Hört zu: Heute vor einer Woche war ich in Oberthalhofen und habe mich mit der alten Weißenbachmüllerin unterhalten. Sie war kerngesund!«
»Das kann jeder sagen«, tuschelte der Schwätzer aus Wengen seinem zufällig neben ihm stehenden Nachbarn, der lieber dem Kastellan zuhörte, ins Ohr.
»Die ganze Familie ist gesund. In Oberthalhofen ist kein einziges Pestopfer zu beklagen. Und ich war auch in Stiefenhofen.« Der interimistische Ortsvorsteher sah ins Rund, bevor er weiter sprach: »Nichts!«
Die Leute begannen zu tuscheln.
»Ich war sogar bis in Harbatshofen. Dort gab es ebenfalls keinen einzigen Pesttoten.«
»Und in Stiefenhofen?«, fragte Hemmo Grob, der das zuvor Gesagte nicht gehört hatte und spuckte demonstrativ auf den Boden.
Aber der Kastellan ignorierte dessen unmögliches Benehmen und ging nicht darauf ein.
»Hört zu: Ich meine es doch nur gut mit euch. Wie gesagt: auch in Stiefenhofen gibt es keine Pest und …«
»Aber im Siechenhaus! Wir haben es doch vorhin gehört«, schrie einer erregt dazwischen.
»Dort bin ich nur vorbeigeritten«, musste Ulrich Dreyling von Wagrain wahrheitsgemäß einräumen.
»Na also: Da haben wir es schon!«, heizte derjenige, der diesen Unsinn verzapft hatte, die Stimmung an und löste dadurch eine wilde Debatte aus.
Während der Kastellan weiter versuchte, die Menge davon zu überzeugen, dass es schlicht und ergreifend keine Pest gab, lachte sich einer zufrieden ins Fäustchen.
»Da kann ich mich jetzt getrost vornehm zurückhalten. Die machen das schon selbst.«
*
Nachdem der Kastellan festgestellt hatte, dass er selbst in seiner Eigenschaft als amtierender Ortsvorsteher gegen so viel Dummheit und Sturheit nichts ausrichten konnte, wandte er sich wütend ab, um sein Pferd zu holen. Er wollte nur noch ins Schloss zurück. Dabei kam er so dicht an Ruland Berging vorbei, dass er ihn versehentlich anrempelte.
»Entschu …«, kam es so schnell aus ihm heraus, wie er sein Wort der Entschuldigung auch schon wieder bremste und hinunterschluckte.
»Ich grüsse Euch, edler Herr«, sagte der Totengräber mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen und zog seinen Hut. »Wie es aussieht, kommt bald eine Menge Arbeit auf mich zu.«
Der Kastellan war in einer derart schlechten Stimmung, dass er sich zusammenreißen musste, um den Scheißkerl nicht am Kragen zu packen. Hätte er gewusst, woher das Pestgerücht ursprünglich stammte, hätte er dies womöglich auch getan. So aber gelang es ihm, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und einigermaßen glaubwürdig zurückzugrüßen.
»Ich darf nicht den Eindruck erwecken, als wenn ich etwas über sein Treffen mit dem Unbekannten auf dem Kirchhof wissen würde und etwas über einen eventuellen Zusammenhang mit dem verschwundenen Sohn des Blaufärbers ahne«, murmelte er und bemühte
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