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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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diesen närrischen Gedanken. Lange überlegte sie, wie sie ihn ansprechen, was sie ihm sagen sollte. Sie hatte so viele Fragen an ihn. Sie kannte ihn und kannte ihn doch nicht. Jetzt endlich, quasi in allerletzter Sekunde, würde sie ihn doch noch kennenlernen dürfen. Und er würde ihr sagen, wer er war. Vielleicht würde er ihr sogar noch viel mehr mitteilen? Dinge, die er sich bisher nicht zu sagen getraut hatte und die ihrer beider Leben durcheinander bringen würden. Bei diesen unkeuschen Gedanken errötete sie. Mehrmals versuchte sie, das Gespräch zu eröffnen, scheiterte aber immer an ihrem eigenen Unvermögen – oder war es gar Feigheit? Letztendlich hatte sie zu lange überlegt; denn gerade als sie ihn fragen wollte, ob er ein Mann Gottes und ein Medicus sei, durchbrach das knarzende Geräusch von Eisenrädern auf dem steinigen Belag der Straße die traute Zweisamkeit.
    »Na endlich!«, schoss es aus ihrem Patienten heraus.
    Die Schwester fasste sich an ihre Wangen und spürte die Hitze, die davon ausging. Verschämt räusperte sie sich und stand auf, um nachzusehen.

    »Mein Gott, warum strafst du mich so? … Muss das ausgerechnet jetzt sein«, sagte sie mit einem verständnislosen Blick nach oben, während sie dem Ochsengespann, das sie von Buflings heranrumpeln sah, entgegen lief. Als es näher gekommen war, stellte sie erleichtert fest, dass sie den Kutscher kannte. Dennoch würde sie ihn jetzt gerne zum Teufel jagen.
    Es war der so genannte ›Lindauer Bot’‹, der wöchentlich einmal die Strecke Immenstadt-Lindau bediente und gewissermaßen als Frächter für größere Warengebinde fungierte. Der kauzige Kutscher nahm gegen ein kleines Entgelt auch Briefe mit und ließ – wenn er ausnahmsweise gut aufgelegt war und die Bezahlung stimmte – auch mal jemanden neben sich auf dem Kutschbock Platz nehmen.
    Als das urzeitlich anmutende Gefährt am Siechenhaus angekommen war, stand die Schwester schon am Wegesrand und bat den Boten, ihren Patienten mitzunehmen.
    »Wohin?«, fragte der Kutscher unwirsch.
    »Das müsst Ihr ihn schon selbst fragen«, antwortete sie resigniert, hoffte dabei aber insgeheim doch noch zu erfahren, wer ihr Patient war und wo er ihn abgesetzt hatte, wenn der Fuhrwerker bei seiner nächsten Fahrt hier vorbeikommen würde.
    »Aber ich habe keine Zeit für Umwege! Ich muss noch vor Einbruch der Dunkelheit in Wasserburg sein, wo eine Lädine auf meine Ware wartet. Meine Ochsen gehen es gemütlicher an, als dies Pferde zu tun pflegen«, bellte der Bote unwirsch zurück.
    »Wartet einen Moment«, bat ihn die Schwester und eilte zum Haus.
    Als sie zurück war und dem Kutscher ein Stück Speck und einen halben Laib Brot in die Hand drückte, hatte er plötzlich Zeit. »Also gut: Ich nehm ihn mit. – Aber man möge sich beeilen!«, knirschte er.
    Nachdem die Schwester dem Medicus auf den Bock geholfen, ihm das Kreuz auf die Stirn gezeichnet und ihm wieder den Rupfensack in die Hand gedrückt hatte, schaute sie ihn mit einem flehentlichen Blick an, bekam aber anstatt der erhofften Antwort nur ein kühles »Habt Dank für alles. Lebt wohl« zu hören.
    Der alles andere als feinfühlige Kutscher ließ ihn seine unangemessene Verabschiedung nicht mehr überdenken und gab stattdessen still vor sich hin grummelnd seinen Ochsen die Zügel.
    Schwester Bonifatia beschlich ein ungutes Gefühl, als sie ihrem Patienten fast traurig nachwinkte. Erst als er in der Ferne verschwunden war, senkte sie demütig ihr Haupt und dachte: Es gibt wunderbare Momente im Leben, bei denen man nicht nur den Blick allein genießt …
    Da es ihr untersagt war, Gefühle für das andere Geschlecht zu zeigen, würde sie heute noch in die kleine Siechenkapelle gehen und mit einer angemessenen Kerzenspende Abbitte leisten.

Kapitel 18

    Der Medicus war längst wieder in Staufen und dachte nur ungern an seine Zeit im Siechenhaus. Und an Schwester Bonifatia dachte er schon gar nicht mehr. Dazu war er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Er tat alles dafür, um sich restlich von seinen Verletzungen zu erholen, was ihm auch gelang. Außer dem Blaufärber hatte ihn vor gut zwei Wochen niemand aus dem Ort reiten sehen. So hatten die Menschen im Dorf auch nicht mitbekommen, dass er beim Kräutermann in Hopfen gewesen, geschweige denn, dass er auf dem Rückweg überfallen und danach im Siechenhaus gepflegt worden war. Dementsprechend bekam er auch keine Krankenbesuche; aber die hätte der allseits unbeliebte Arzt auch

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