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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Sicherheit seiner Söhne besorgt war, hatten diese heute zum ersten Mal nicht mitgedurft. Diederich verstand das vom Vater ausgesprochene Marktverbot überhaupt nicht und schmollte. Lodewig war stinksauer, weil man ihn wie ein Kind behandelte, obwohl er sich zu Recht als junger Erwachsener fühlte. Trotzdem mussten sie heute bei ihrer Mutter im Schloss bleiben. Um Diederich nicht zu beunruhigen, vermied sie es, auf den eigentlichen Grund dieser Vorsichtsmaßnahme einzugehen. Sie war der Meinung, dass es besser für den Seelenfrieden ihres jüngsten Sprosses war, wenn er schnell vergessen würde, was er auf dem Kirchhof erlebt hatte. Es gelang ihr, Diederich wenigstens etwas abzulenken, indem sie dessen Lieblingsspeise – Erbsen mit Speck – zubereitete und ihm zum Nachtisch gesüßten Rhabarber versprach. Außerdem war sie der Meinung, dass es auch für Lodewig besser sei, etwas Abstand von der Sache zu gewinnen. Aus diesem Grund hatte ihn der Vater heute mit besonders viel Arbeit eingedeckt.
    Der Kastellan suchte den Marktwagen des Schuhflickers, fand ihn aber nicht. »Wisst Ihr, ob der Lederer noch kommt?«, fragte er mehrere Händler, bekam aber nur Achselzucken oder ein knappes »Nein« zur Antwort.
    Da es dieser – wie alle fahrenden Händler, die letzte Woche hier gewesen waren – vorzog, Staufen eine Zeit lang zu meiden, konnte der Kastellan Lodewigs Schuh eben nicht abholen.
    »Habt Ihr schon gehört, edler Herr? Der jüngste Sohn des Blaufärbers ist verschwunden und soll aller Wahrscheinlichkeit nach tot sein«, tuschelte man ihm das zu, was bereits der ganze Ort zu wissen schien.
    »Man hat ihn zwar nicht gefunden. Doch weiß niemand, ob er tot ist«, rückte der Kastellan die Sache zurecht. Dabei merkte er, dass vielen Menschen jetzt erst so richtig bewusst wurde, welch großes Leid sie der Familie Opser angetan hatten, als sie ihr die dringend notwendige Hilfe bei der Suche nach Didrik verweigert hatten.
    »Gott, was sind wir für erbärmliche Feiglinge. Strafe uns dafür … aber nicht mit der Pest!«, hörte man einen verrückten alten Mann rufen, an dessen Tür Hannß Opser bei seiner verzweifelten Suche nach Didrik ebenfalls vergeblich geklopft hatte. Zur Selbstbestrafung tat er das, was er vor vielen Jahren über Flagellanten gehört hatte: Er bestrafte sich selbst, indem er sich in aller Öffentlichkeit geißelte – allerdings mit einem Strick und nicht mit einer dornenbesetzten Peitsche, wie sie von den Mitgliedern der christlichen Laienbewegung des 13. und 14. Jahrhunderts bei deren ›Pestumzügen‹ benutzt worden war.

    Dass sich der Kastellan überhaupt mit etlichen Staufnern unterhalten konnte, lag daran, dass das Pestgerücht bereits eine Woche alt war und sich immer noch nicht bestätigt hatte. So erfuhr Ulrich Dreyling von Wagrain jetzt, was ihm seine Frau bereits nach dem letzten Markttag erzählt hatte, in reinster Form. Die Leute glaubten allen Ernstes, dass im nördlichen und östlichen Teil des Westallgäus die Pest wüten würde. Sie meinten jetzt sogar zu wissen, dass es nicht nur in der Weißenbachmühle die ersten Opfer gegeben habe, sondern dass die Pest mittlerweile auch schon in Genhofen und in Buflings um sich greifen würde.
    »Dort gibt es bereits zwei Tote!«, wusste die Mesnerin mit absoluter Sicherheit, obwohl sie eine Woche lang keinen Schritt aus dem Haus getan hatte.
    »Warum verlasst Ihr dann jetzt Eure sichere Behausung, wenn doch die Pest in Staufen ist?«, frotzelte der Kastellan sie, der die saudummen Sprüche nicht mehr hören konnte.
    »Noch ist sie nicht hier. Und für den Moment ist sie an uns vorüber gezogen«, keifte die Frau, die sich ertappt fühlte, und bekreuzigte sich. »Wir müssen rasch unsere Vorräte auffüllen, falls sie zurückkommt.«
    Über so viel Dummheit musste der Kastellan den Kopf schütteln.
    »Wenn sie in Genhofen und in Buflings war, kann sie nur über Kalzhofen nach Thalkirchdorf weitergezogen sein … Aber auch von dort aus hat sie nicht weit nach Staufen und kann jederzeit zurückkehren«, jammerte eine Frau, die von auswärts nach Staufen gekommen war und hastig ihre Einkäufe beendete.
    »Ja!«, bestätigte ein Mann aus Wengen, einem kleinen Einöddorf, das nur wenige Meilen von Staufen entfernt in Richtung Thalkirchdorf lag und nickte vielsagend. »Ein Fuhrwerker hat mir erzählt, dass es in der Siechenkapelle einen Pesttoten gegeben hat. Sein Körper soll voller Beulen gewesen sein.«
    Dass der Mann aus Wengen schon immer

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