Die Pestspur
sich sogar, einen Anflug von Lächeln in sein versteinertes Gesicht zu zaubern, was den Totengräber dazu veranlasste, ein Gespräch zu beginnen.
Jetzt kam dem Kastellan das Wort von vorhin ganz über die Lippen, allerdings in einem anderen Zusammenhang: »Entschuldigt … Ich muss gehen. Die Geschäfte rufen.«
»Gehabt Euch wohl«, rief ihm der Totengräber nach und hörte nicht mehr, wie der Kastellan leise sagte: »Verdammt. Wenn ich dir nur etwas beweisen könnte.«
Kapitel 17
Schwester Bonifatia und ihre Helferinnen hatten den Fremden über eine Woche hinweg zwar gut gepflegt, mussten seine ständig nässenden und verklebten Wunden aber immer noch mehrmals am Tag reinigen, salben und verbinden und zudem nachts an seinem Lager wachen, um ihm die Stirn abzutupfen. Dies machte zwar viel Arbeit, hatte aber den Vorteil, dass die barmherzige Schwester während der ständig aufkommenden Hitzewallungen ihres Patienten ein bisschen mehr über ihn erfuhr.
»Ich bin ein Me… Bitte! Schlagt mich nicht weiter. Nehmt meinen Geldbeutel und das Pferd … Der Totengräber! Aber lasst mir die Heilpflanzen. Bitte!«
Er hatte weiter unzusammenhängendes Zeug gefaselt: »Die Kräuter. Alle glauben, dass sie hel… Gift! … Die Pest …«
Manchmal hatte er im Wahn so laut geschrien, dass er dabei in Schweiß gebadet aufgewacht war: »Die Kinder. Nein! Nein! … Alle sterben! … Geld, viel Geld«, waren seine letzten Worte, bevor er auch in dieser Nacht wieder in heilsamen Schlaf gefallen war. Da die aufopferungsbereite Krankenschwester die ganzen Tage und Nächte zu sehr mit ihm beschäftigt und deswegen selbst völlig übermüdet und entkräftet war, hatte sie zwischendurch zwar kurz daran gedacht, dummerweise aber wieder vergessen, das wirre Geschwafel zu notieren, um es in einer ruhigen Minute zusammensetzen zu können. So war es kein Wunder, dass sie das meiste davon wieder vergessen hatte.
»Das ist neben dem Mann gelegen«, bemerkte Heini eines Tages beiläufig, als er seiner Pflegemutter einen über und über mit Blut verschmierten Rupfensack in die Hände drückte.
»Woher hast du diesen Sack? Und warum hast du ihn mir nicht gleich gegeben?«, fragte die Schwester leicht erzürnt. »Und putz dir die Nase!«, herrschte sie ihn an.
»Bis du gekommen bist, habe ich doch auf den Mann aufgepasst«, verteidigte sich der Bursche und schnappte dabei mit seinem vorgeschobenen Unterkiefer wie ein Fisch.
»Also Heini!«, schrie die an viel gewöhnte Ordensfrau auf und drückte ihrem Schützling ein Schneuztuch in die Hand. »Du bist ein Ferkel! Ich habe gesagt, dass du dir die Nase putzen sollst, und nicht …«
Als die Schwester den Sack öffnete und den Inhalt sah, wurde ihr schlagartig klar, dass es sich bei ihrem Patienten um einen Bader, vielleicht sogar um einen Medicus oder gar um einen Apotheker handeln musste.
Ja! Er hat etwas über Heilpflanzen, Kräuter, Gift und die Pest geschwafelt, fiel es ihr wieder ein. »Jedenfalls ist er ein ehrbarer und unbescholtener Mann«, murmelte sie und stellte zufrieden fest, dass sie mit ihrer Meinung recht gehabt hatte: Ihr Patient ist überfallen, brutal zusammengeschlagen und ausgeraubt worden. Darum hatte er keine Schuhe, kein Geld, nichts, sinnierte sie, während sie das Behältnis inspizierte. Sie fand darin allerlei ganze Pflanzen, Blätter, Stängel und Wurzeln, die sich teilweise noch geordnet in einzelnen kleinen Säckchen befanden, ansonsten wahllos im großen Sack zu liegen schienen. Sie alle waren nicht mehr frisch, sondern recht labbrig, teilweise sogar fast getrocknet, was darauf schließen ließ, dass sie schon vor einer Woche oder länger, aber noch nicht vor allzu langer Zeit geerntet worden waren.
»Ich habe dich schon einmal gefragt: Woher hast du diesen Sack?«
Heini fühlte sich eingeschüchtert und zeigte wortlos zur Laube neben der Haustür.
Schwester Bonifatia überlegte: Die Nächte sind jetzt schon sehr kühl und feucht. Wenn er eine Woche in der Laube gelegen hat, könnte es hinkommen, dass die Kräuter an dem Tag geschnitten worden sind, an dem ihn der Fuhrmann zu uns gebracht hat. Das würde heißen, dass mein Patient beim Kräutermann in Hopfen war und den wahrscheinlich noch vollen Sack von dort aus über den Hahnschenkel in unsere Richtung transportieren wollte. »Aber wohin? Ich glaube nicht, dass er ein Staufner ist. Wollte er nach Immenstadt?«, fragte sie Heini, der natürlich keine Antwort geben konnte. Bei dem Gedanken, dass es
Weitere Kostenlose Bücher