Die Pestspur
war. Erst nachdem Schwester Bonifatia ein Machtwort gesprochen hatte, packten sie ihn und trugen ihn in den Behandlungsraum. Dabei ließen sie äußerste Vorsicht walten. Nicht nur, weil sie befürchteten, dass es eine Finte sein und der Fremde sie plötzlich packen könnte, sie hatten auch Bedenken, den fast nackten Mann anschauen zu müssen und dabei einen Teil ihrer Keuschheit zu verlieren. Aber ihnen blieb nichts anderes übrig, als notgedrungen ihre Arbeit zu tun und später der Muttergottes ein Kerzchen zu entzünden. Sie würde ihnen dann schon ihre unfreiwillige Unkeuschheit verzeihen.
»Nun macht schon!«, bellte die Schwester, die wusste, dass keine Zeit vergeudet werden durfte. Mit diesen Worten eilte sie voran. Hastig breitete sie ein linnenes Tuch über den Behandlungstisch, der eher einer Totenbahre glich als einem Tisch, auf dem Leben gerettet wurden.
Vorsichtig legten die mildtätigen Helferinnen des Siechenhauses den Mann darauf und warteten auf weitere Instruktionen, die kurz darauf durch den Raum schallten: »Musa! Du holst das Besteck … Und ihr bringt heißes Wasser, Leinen und was wir sonst noch brauchen … Beeilt euch!«
Bevor sie damit begannen, ihn gänzlich zu entkleiden, schlugen sie das Kreuz und sprachen ein kurzes Gebet zur eigenen inneren Erbauung und für den Verletzten.
»Seid vorsichtig! Durch das getrocknete Blut klebt der Stoff am Körper«, warnte die Schwester, merkte aber schnell, dass sie selber ran musste. »Seht ihr, so macht man das!« Entschlossen packte sie einen der blutverkrusteten Stofffetzen und zog ihn mit einem Ruck von der Wunde, was den bisher Besinnungslosen mehrmals laut aufschreien ließ. »Und jetzt seid ihr dran«, gebot sie mit ruhiger Stimme.
Nach dieser für alle Beteiligten schmerzhaften Prozedur gingen sie daran, den Körper mit essiggetränkten Lappen zu reinigen, indem sie damit die Wunden abtupften. Da auch dieser Vorgang äußerst unangenehm war, wachte der Patient endgültig auf. Die Schmerzen mussten so schlimm sein, dass er immer wieder aufschrie, wenn der Lappen mit dem aus Malzsud und reinem destilliertem Alkohol hergestellten Reinigungs- und Desinfektionsmittel eine der Wunden berührte. Aber Schwester Bonifatia wusste, was sie tat. Da sie aufgrund ihres Einsatzes nach etlichen Scharmützeln im großen Glaubenskrieg viel von der Behandlung Verletzter verstand, war sie von ihrem Orden hierher geschickt worden, um den Siechen zu helfen. Sie war die Einzige in ihrem Kloster, die den Mut aufgebracht hatte, ihr Leben außerhalb der relativ sicheren Klostermauern den von der Gesellschaft Ausgestoßenen zu widmen oder es ihnen sogar zu opfern. Alle anderen Ordensschwestern hatten sich aus Angst vor Ansteckung davor gedrückt.
»Und jetzt salbt und verbindet ihn!«, trug sie ihren Helferinnen auf. »Irgendwann müsst ihr es ja lernen«, sagte sie noch, während sie ihnen bei der Arbeit zusah und sich den Schwerverletzten betrachtete. Ihr war aufgefallen, dass es sich nicht nur um Messerstiche in der linken Schulter, am rechten Arm und in der Seite handelte, vielmehr musste der arme Kerl auch noch brutal verprügelt worden sein. Der ganze Körper – insbesondere das Gesicht – war mit teils aufgebrochenen Schwellungen übersät, die den Farben des Regenbogens in nichts nachstanden. Und er hatte viel Blut verloren. Um die Identität ihres Patienten herauszubekommen, suchte sie nach Anhaltspunkten. Aber sie fand nichts. Er hatte nicht einmal Schuhe an.
»Die Stiefel wurden ihm sicher gestohlen. Man hat ihn ausgeraubt«, war sich Schwester Bonifatia sicher. »Heute können wir nichts mehr für ihn tun. Jetzt liegt alles in Gottes Hand«, sagte sie in fast resigniert klingendem Tonfall und schickte ihre Helferinnen in deren Kammern zurück. Bevor sie sich selbst wieder zur Ruhe legte, rief sie Heini herbei und trug ihm auf, die Nacht über am Lager ihres Patienten zu wachen und ihr sofort mitzuteilen wenn etwas wäre. Dabei strich sie ihm sanft über den Kopf. Sie wusste, dass ihr dies Heini danken würde und seinen Posten keinen Moment verlassen oder gar einnicken würde. Schwester Bonifatia fand in dieser Nacht lange keinen Schlaf. Sie hoffte, anderntags mehr über den Fremden herauszubekommen.
Kapitel 16
Langsam und quietschend öffnete sich in Staufen eine Haustür nach der anderen.
»Ist schon wieder Markt? … Wie doch die Zeit vergeht!«, stellte eine betagte Frau fest, als sie wegen der altbekannten Geräusche, die der Wochenmarkt mit
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