Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
Vom Netzwerk:
sich zu bringen pflegte, die Tür einen Spalt breit aufgedrückt hatte und vorsichtig auf die Straße lugte. Die wärmende Morgensonne tat ihr so gut, dass sie sich davon sogar ein paar Schritte ins Freie locken ließ. Wie die meisten Staufner war sie eine Woche lang nicht aus dem Haus gegangen.
    »Ihr könnt getrost herauskommen«, rief ihr die nicht minder alte, aber wesentlich neugierigere Nachbarin zu, die an diesem Tag ihre erste Dorfrunde seit der Verbreitung des Gerüchtes gewagt und bereits hinter sich hatte.
    »Und die Pest?«
    »So wie es aussieht, ist sie an Staufen vorbeigeschrammt.«
    »Und ihr ist niemand erlegen?«, fragte die Alte fast etwas enttäuscht und runzelte die Stirn.
    »Nein! Der Seiler hat mir vorhin erzählt, dass seit Barbara Föhr niemand mehr gestorben ist!« Die beiden bekreuzigten sich. »Ach, ja!«, kam es ihr noch in den Sinn. »Der Sohn der Blaufärber ist verschwunden.«
    »Welcher?«
    »Ich glaube, der jüngere … Didrik!«
    »Wirklich? … Und die Soldaten des Grafen?«, wollte die eine jetzt alles wissen.
    »Keiner da … Hab’ ich selber gesehen«, verkündete die andere stolz.
    »Na dann.« Die alte Frau traute dem Frieden zwar nicht, hatschte dennoch freudig erregt ins Haus zurück, um ihren Gehstock und den Kretten, den sie zum Einkaufen benötigen würde, zu holen.
    So wie sie drängten jetzt nach und nach die Frauen, die vor einer Woche für einen folgenschweren Tumult gesorgt hatten, auf die Straßen und Gassen. Sie wollten wissen, ob nach ihrem schändlichen Verhalten am letzten Markttag etwas auf sie zukommen könnte. Etliche hatten ihre Männer vorgeschickt, um sich umzusehen. Erst als sie von ihnen gehört hatten, dass die Pest tatsächlich an Staufen vorübergezogen sei und keine Soldaten hier waren, die sie hätten verhaften können, trauten auch sie sich schlechten Gewissens aus dem Haus.

    *

    Da der Totengräber weder ein Problem mit den Soldaten noch mit der Pest hatte, war es ihm ein Bedürfnis, den Markt zu nützen, um die Lage zu peilen. Genau genommen hatte er zwar ein Problem mit der Seuche, allerdings nur indirekt: Weil er nichts mehr vom Medicus gehört hatte, war er fast verrückt geworden. Seit sich dieser sein Pferd ausgeliehen hatte, um nach Hopfen zu reiten, hatte es kein Lebenszeichen mehr von ihm gegeben.
    Die Zeit ist überreif. Wir müssen jetzt endlich handeln, wenn das Gerücht nicht verpuffen soll, überlegte er immer wieder und beendete seine lauten Gedanken zumeist mit einem gotteslästerlichen Fluch. Zutrauen hatte er in den Medicus noch nie so richtig gehabt. Außerdem: Wer verlässt sich schon auf einen notorischen Säufer? Vielleicht hätte ich mich mit diesem Nichtskönner überhaupt nicht einlassen sollen? So langsam keimte im Totengräber ein Verdacht, dass sich der miese Hund mit seinem Pferd davongemacht und es verkauft hat. Aber so oft er diesen Gedanken hatte, verwarf er ihn auch wieder. Warum sollte er dies tun, wo hier doch größere Einnahmen auf ihn warten, und wo könnte er mit meinem Pferd hin sein?, fragte er sich, während er seine Schritte zum Marktplatz hinunterlenkte. Dort hoffte er auf Neuigkeiten, die ihn weiterbringen würden.
    Aber dort bot sich ihm ein trauriges Bild: Außer ein paar einheimischen Warenanbietern, die sich trotz des Pestgerüchtes auf die Straße getraut hatten, um ein paar Kreuzer zu verdienen, war nicht viel los. Nur wenige auswärtige Händler hatten ihre Verkaufswagen in Position gebracht, durchwegs Kaufleute, die am vergangenen Mittwoch nicht hier in Staufen gewesen waren und somit von den Geschehnissen der letzten Woche auch nichts wissen konnten. Und die Einheimischen wussten mittlerweile allesamt, dass die Föhrin nicht an der Pest gestorben sein konnte, weil sich die Seuche in Staufen noch nicht hatte blicken lassen.
    »Die Bäckerin ist eines natürlichen Todes gestorben«, erzählte man sich so ganz nebenbei. Aber dies war nur die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm, denn kaum hatte das dürftige Markttreiben begonnen, ging schon wieder die Mär über eine doch noch drohende Pest um. Zu allen Problemen kam noch die Angst hinzu, dass die auswärtigen Händler das Gerücht über die rothenfelsischen Grenzen hinaustragen würden, sodass sich bald überhaupt niemand mehr nach Staufen trauen und der sowieso recht magere Handel gleich wieder zum Erliegen kommen würde.

    *

    Auch der Kastellan war vom Schloss in den Flecken hinuntergeritten, um den Wochenmarkt zu besuchen. Da er um die

Weitere Kostenlose Bücher