Die Pestspur
Otto und seinem Begleiter mit einer schwungvollen Handbewegung deutete, sich vor die beiden in der Mitte des Raumes stehenden Stühle zu stellen. Während der Kastellan eine lockere Haltung einnahm und dem hohen Gericht zulächelte, stand Otto wie angewurzelt da und knetete mit beiden Händen seine altmodische Filzkappe so fest, dass das darin aufgesogene Regenwasser auf den Boden tropfte, was ein unverhofftes Schmunzeln in die Gesichter einiger Ausschussmitglieder zauberte, das wiederum zur Folge hatte, dass Otto beschämt seinen Kopf senkte, obwohl er dies als gutes Vorzeichen für das, was jetzt kommen sollte, werten konnte.
Wie erwartet hatte der Oberamtmann in Vertretung des Grafen den Vorsitz inne. Zur Seite standen ihm sechs stimmberechtigte Ausschussmitglieder: Die Stadt Immenstadt wurde durch Stadtamtmann Hans Zwick vertreten. Da dieser auch – den Grafen nicht mit einbezogen – der oberste Richter des rothenfelsischen Gebietes war, leitete er ansonsten meist nur Gerichtsverhandlungen. Sollte diese Anhörung in einer Gerichtsverhandlung münden, würde er dieser vorstehen.
Nachdem Speen und Zwick vorgestellt waren, verlas der Zeremonienmeister die Namen der restlichen Ausschussmitglieder: »Für die umliegenden Adelshäuser sind Johann Joachim Herr von Laubenberg zu Rauhenzell, Franz Apronian Freiherr Pappus von Tratzberg und der ehrenwerte Hans von Werdenstein angereist.« Dass der Werdensteiner ein betagter Mann war, der es sich trotz seines hohen Alters nicht hatte nehmen lassen, an der heutigen Anhörung dabei zu sein, war zwar von Oberamtmann Speen mit einer Schmeichelei besonders gewürdigt worden, ließ aber den einen oder anderen unbemerkt in sich hinein schmunzeln.
»Tattrig ist er geworden«, tuschelte der Rauhenzeller dem Tratzberger ins Ohr.
»Der Immenstädter Zunftrat geruht, sich dieses Mal durch die Kramerzunft vertreten zu lassen und hat erstmals Clement Carle entsandt«, verkündete der Zeremonienmeister theatralisch.
Der fleißige Kaufmann war in jeder Hinsicht das Gegenteil des Werdensteiners und sorgte dadurch für den nötigen Ausgleich. Er war vor nicht allzu langer Zeit aus dem Savoyischen Aostatal zugewandert und hatte es gut verstanden, sich rasch in gehobene Positionen zu bringen.
»Für die Kaufleute spricht wie gewohnt der Tuchhändler Hans Miller«, verkündete der Zeremonienmeister knapp, weil er wusste, dass der ehrbare Kaufmann – Nachfahre eines alten Immenstädter Geschlechtes – nicht weiters vorgestellt werden musste.
Otto hörte aufmerksam zu und sah dabei unruhig von einem zum andern. »Wie entscheiden sie wohl?«, fragte er Ulrich leise.
Er wurde erst etwas ruhiger, als der Zeremonienmeister den Staufner Propst Johannes Glatt vorstellte und dieser ihn mit einer fast unmerklichen Kopfbewegung und einem wohlwollenden Lächeln auf den Lippen grüßte. Der Kirchenmann hatte sowieso in Immenstadt zu tun gehabt und war deshalb zur Vorbesprechung schon gestern hierher gekommen. Da er Otto und den Kastellan nicht hatte beunruhigen wollen, hatte er ihnen nicht gesagt, dass er ebenfalls bei der Anhörung dabei sein würde. Außerdem würde das Wort des Staufner Pfarrherrn heute nicht gewichtet werden. Er würde das Gremium lediglich beraten dürfen.
*
Man hörte nur das Knarzen des Dielenbodens und das Quietschen der Polsterfedern, als sich der Kastellan und Otto auf Geheiß des Oberamtmannes auf ihre Stühle setzten. Acht Augenpaare ruhten gespannt auf den beiden, als der Ausschussvorsitzende fragte, ob der Zeuge zur Aussage bereit sei. Als Otto mit dem Kopf nickte, klopfte der Vorsitzende mit einem Holzhammer auf den Tisch. »Die Befragung kann beginnen!«
Kapitel 20
Als der Totengräber mit wehendem Mantel, den Schlapphut tief ins Gesicht gezogen, auf die Tür zu Heinrich Schwartz’ Behandlungsraum zusteuerte und sie, ohne anzuklopfen, aufriss, arbeitete der Giftmischer schon den dritten Tag an seinen todbringenden Kräutermixturen.
»Verdammtes Sauwetter! Bist du vorangekommen?«, fragte er den Medicus, ohne hereingebeten worden zu sein und ohne zu grüßen.
» Quod erat demonstrandum! Sieh selbst!«
Fast andächtig betrachtete der Totengräber die sorgsam aneinandergereihten Sudsäckchen, die einzelnen Häufchen noch nicht verarbeiteter Kräuter und die fein säuberlich aufeinander gelegten Leinenstückchen, die nur noch darauf zu warten schienen, ebenfalls gefüllt und verschnürt zu werden. Wie ein Gardeoffizier seine Truppe schritt er den Tisch ab.
Weitere Kostenlose Bücher