Die Pestspur
Dabei hatte er die Hände auf dem Rücken verschränkt und nickte anerkennend. »Gut! … Sehr gut!«
Als der Medicus den aktuellen Stand der Dinge erläutert hatte, klopfte ihm der Totengräber fast freundschaftlich auf die Schulter. »Dann können wir ja endlich anfangen«, freute er sich und klatschte in die Hände. »Ich habe das Gerücht über die drohende Pest noch mal so richtig genährt und dein ›Wundermittel‹ unter vorgehaltener Hand erwähnen lassen. Ich brauchte es nur wieder der Mesnerin zu erzählen und ihr die Schweigepflicht aufzuerlegen. Jetzt …«
»… weiß es das ganze Dorf«, vervollständigte der Medicus das Gehörte und demonstrierte schon wieder, dass es Dümmere gab als ihn.
»Ja, da haut’s dich um … hä!« Die Augen des Totengräbers forderten ein Lob und begannen gefährlich zu funkeln, als stattdessen vom Medicus eine hämisch gemeinte Bemerkung kam: »Saustark!«
Aber der Totengräber wollte sich seine Freude nicht nehmen lassen und konterte triumphierend: »Ich habe noch eine gute Kunde.« Er wartete allerdings vergebens darauf, dass ihn sein Kumpan fragen würde, was es denn Neues gäbe.
»Willst du nicht wissen, um was es geht?«, knurrte der Totengräber schließlich.
Der Medicus tat so, als wäre er gelangweilt und müsste gähnen. »Nun spuck es schon aus.«
Jetzt war es der Totengräber, der so tat, als habe er alle Zeit der Welt. Er holte ein Zinnfläschchen hervor, öffnete den Verschluss und hielt es dem Medicus hin. Als dieser den geistreichen Inhalt roch, stieg dessen Aufmerksamkeit, was ihn sofort freundlicher werden ließ. »Erzähl mir bitte, was es Neues gibt?«, säuselte er und nahm einen Schluck.
»Schon besser«, grinste der Totengräber, der das Prinzip ›Mit Speck fängt man Mäuse‹ meisterlich beherrschte. Nachdem er den letzten verbliebenen Schluck genommen und das Fläschchen wieder in seiner Tasche hatte verschwinden lassen, verkündete er strahlend: »Stell dir vor. Sie wollen noch heute die kranke Huberbäuerin zu dir bringen, damit du sie behandelst.«
»Liegt die alte Vettel nicht schon seit etlichen Tagen auf ihrem Lager?«, glaubte der Medicus zu wissen, schaute dabei aber skeptisch drein.
»Eben, das passt doch gut und macht unseren Start nur umso glaubwürdiger.«
Kaum ausgesprochen, pochte es an die Tür.
»Ja, der Huberbauer! Was kann ich für Euch tun?«, fragte der Arzt mit scheinheiliger Miene und dem säuselnden Tonfall von vorhin.
»Gott zum Gruße, werter Medicus«, entgegnete der Bauer mit einer unterwürfigen Verneigung. Als er dabei seinen Hut zog, stoben Heuflusen durch die Luft.
»Mein Weib ist krank und bedarf dringend Eurer Hilfe.«
»Oh! Was fehlt ihr denn?«, fragte der geschäftig tuende Arzt naserümpfend.
»Ich weiß es nicht. Sie hat Magenkrämpfe, Schüttelfrost und Fieber … und einen merkwürdigen Ausschlag«, entgegnete der verhärmte Mann, während er einzutreten gedachte.
»Halt!«, rief ihm der Medicus – der nicht wollte, dass der Totengräber bei ihm gesehen wurde – energisch entgegen, und hielt ihm eine geöffnete Handfläche vor die Brust. »Ich bin gerade dabei, meinen Behandlungsraum zu reinigen, damit sich die Pest nicht einnisten kann«, log er spontan.
»Ihr meint … Ihr meint, dass es die Pest sein könnte?«, entgegnete der Huberbauer mit zittriger Stimme, während er sich bekreuzigte.
»Das habe ich nicht gesagt, ich habe lediglich von meinem Behandlungsraum gesprochen. Beruhigt Euch also! Was Eurer Frau fehlt, kann ich erst sagen, wenn ich sie untersucht habe. Dass die Pest wieder den Weg in unsere unmittelbare Umgebung gefunden hat, steht – wie man allgemein hört – wohl außer Zweifel«, lenkte der Medicus die Gedanken des besorgten Mannes in die gewünschte Richtung. »Ich komme gleich morgen früh zu Euch und werde mein Bestes tun, damit Eure Frau wieder gesund wird. Heute kann ich mich nicht mehr um sie kümmern. Die Reinigung meines Arbeitsplatzes zur Sicherheit der Patienten hat absoluten Vorrang und duldet keinen Aufschub. Der beim Ausräuchern entstehende Geruch könnte der angeschlagenen Gesundheit Eurer Frau zusätzlich schaden, wenn Ihr sie jetzt zu mir bringen würdet«, log der Medicus weiter, während er eine ranzige Salbe aus zerlassenem Schweinefett und geriebenen Arnikablüten aus dem Schrank kramte. »Hier!«, rief er in selbstbewusstem Befehlston und hielt dem nicht ganz arm wirkenden Mann ein kleines Behältnis vor die Nase. »Streicht diese Salbe auf die
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