Die Pestspur
wunden Stellen und deckt sie danach mit zuvor ausgekochten, noch gut warmen und feuchten Tüchern ab. Wenn Ihr keine sauberen Tücher habt, nehmt einfach ein paar Blätter des Hypericum perforatum und legt sie auf die betroffenen Stellen.«
»Hä?«, was so viel hieß wie »Was habt Ihr gesagt?«, fragte der Bauer verdutzt.
»Entschuldigt, ich war aus Sorge um Eure Frau in Gedanken und vergaß, dass Ihr des Lateins nicht mächtig seid«, entgegnete der scheinheilige Medicus.
Immer wenn er besonders kompetent wirken wollte, schmiss Heinrich Schwartz mit geschwollenem Latein um sich. Dass es in der Botanik erst teilweise lateinische Bezeichnungen gab und diese auch unter seinesgleichen noch nahezu unbekannt waren, kümmerte ihn nicht. Hauptsache, er stand als glaubwürdiger Experte da, dem nichts mehr am Herzen lag als das Wohlergehen seiner Patienten.
»Ich habe die Blätter des Johanniskrautes gemeint«, gab er sich jetzt wieder trivial und erklärte in schulmeisterlichem Ton: »Dieses Hartheugewächs hat von allen Heilpflanzen die stärkste Beziehung zum Licht, was seine Heilkraft verstärkt. Es ist zwar schon seit Ende Juni verblüht, steht aber überall noch an den Wegesrändern. Ihr benötigt nur die punktiert durchscheinenden Blätter als Wundauflage. Wenn die Salbe zu Ende ist, legt sie einfach direkt auf die Wunden und die juckenden Stellen.«
Der Medicus rieb sich das Kinn und tat so, als würde er nachdenken. »Nun müssen wir noch etwas gegen die Hitze unternehmen«, sagte er und holte eines der vorbereiteten Kräutersudsäckchen. Es war eines der harmlosen Säckchen, die für diejenigen gedacht waren, die über Geld verfügten, weswegen er sie nicht sofort sterben lassen würde. Eine gute Gelegenheit für den ersten Versuch, dachte er, drückte dem Bauern das Sudsäckchen behutsam in die eine Hand und umschloss dann beide. Dieser theatralische Akt wirkte: Der Bauer betrachtete das Leinensäckchen so andächtig, als hielte er eine Reliquie der Hildegard von Bingen in Händen.
»Wenn Ihr die Kräuter in diesem Säckchen aufbrüht und Euer Weib den Sud möglichst heiß trinkt, können wir vielleicht die Hitze etwas senken.«
Aber der Bauer antwortete nicht. Still betrachtete er das merkwürdige Säckchen, von dem er noch nie zuvor eines gesehen hatte. Offensichtlich wusste er nichts mit dem, was der Arzt ihm erklärte, anzufangen.
»Ach so!«, sagte der Medicus verständnisvoll. »Ihr wisst nicht, wie Ihr damit umgehen sollt.«
Der Bauer nickte für die Frage des Arztes dankbar mit dem Kopf.
»Nun: Ihr müsst nur Wasser zum Kochen bringen und dann den Topf vom Herd nehmen. Dieses Wasser schüttet Ihr dann in eine Kanne, in die Ihr zuvor das Säckchen gegeben habt.«
»In wie viel Wasser?«
»Ungefähr ein bis zwei Quart! … Und noch etwas: Das Säckchen muss geschlossen bleiben! Ihr dürft es nicht öffnen! Hört Ihr? – Niemals!«
Der Bauer nickte folgsam, hatte aber noch eine Frage: »Und wie lange muss das Säckchen im heißen Wasser verbleiben?«, wollte er es noch ganz genau wissen.
»Eine gute Frage, Herr Huber«, lobte der Medicus den einfachen Landmann. »Genau das Viertel einer Stunde. Und danach müsst ihr es vorsichtig fest ausdrücken.«
Der Bauer nickte kurz, senkte wieder sein Haupt und druckste ein Weilchen herum, bevor er gestand, dass er den Medicus nicht bezahlen könne.
Oh! Er hat doch kein Geld, dachte sich der Medicus, bevor er in ausgewählt gönnerhaftem Ton sagte: »Grämt Euch nicht! Ich behandle Eure Frau trotzdem – dies gebietet allein schon die Nächstenliebe.« Nachdem der Medicus genügend geschleimt hatte, schickte er den Huberbauer fort: »Und jetzt geht! Ich muss hier weitermachen.«
Der dankbare Landmann ließ sich auf die Knie fallen und küsste beide Hände des Arztes. Als er sich endlich verabschiedet hatte und weg war, trat der Totengräber aus dem Dunkel seines Versteckes hervor und klatschte anerkennend in die Hände. »Dass du so schlagfertig sein kannst und derart durchtrieben bist, habe ich nicht gewusst.»Dabei lachte er schrill. »Wenn du das Saufen lassen würdest, könnte man viel mit dir anfangen«, fügte er noch süffisant hinzu.
»Ja, ja, schon gut. Kehr lieber vor deiner eigenen Tür! Ich bin jedenfalls auf dem Laufenden. Und du? Bist du auch auf dem aktuellen Stand der Dinge? Hast du genügend Särge vorgefertigt und schon ein paar Gruben ausgehoben?«
»Das lass nur meine Sorge sein«, bellte der Totengräber zurück. Die Särge
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