Die Pestspur
liebten. So war es nicht verwunderlich, dass es der Mutter nur schwer gelang, für den Vater eine ordentliche Portion auf die Seite zu bringen. Da sie seit dem Verschwinden des kleinen Didrik in ständiger Angst um das Leben ihrer eigenen Söhne war, unterliefen ihr derzeit Fehler, die sie zuvor niemals gemacht hätte. Sie wunderte sich selbst darüber, dass sie sich in der Menge der Zutaten derart vertan hatte, dass die Suppe nicht für vier Personen reichte. So verzichtete sie zu Gunsten ihrer Männer selbst darauf und gab sich mit einem dünn bestrichenen Schmalzbrot zufrieden. Nach dem Abräumen setzte sie sich aufatmend in einen Sessel.
Kapitel 22
»De nihilo nihil!«, rief der gut gelaunte Kastellan über den Immenstädter Marktplatz, als er mit Otto das Amtshaus verließ.
»Was meinst du?«, fragte Otto, der kein Latein konnte.
»Ach, entschuldige bitte: ›Aus Nichts wird nichts!‹ Sie haben gleich zu Beginn der Anhörung gemerkt, dass du mit der Sache nichts zu tun gehabt hast und haben uns unerwartet schnell aus der Befragung entlassen. Bist du nicht erleichtert?«
»Natürlich! Mir ist ein Nagelfluhfelsen vom Herzen gefallen! Es ist nur bedauerlich, dass sie bis zur Klärung oder der Niederlegung dieses Falles ein Marktverbot ausgesprochen haben.«
»Ja, das ist fürwahr ein Schicksalsschlag für unsere Staufner, für die ganze Bevölkerung. Wir können das jetzt aber nicht ändern. Lass uns also die trüben Gedanken für eine kurze Weile beiseite schieben.« Der Kastellan sah zum Himmel hoch und stellte fest, dass er sich langsam aufzuhellen begann. »Wir sind früher dran als gedacht und könnten im neu gegründeten gräflichen Brauhaus ein, zwei Becher Bier probieren … Was meinst du, Otto?«
»Aber nur, wenn du beim Nachhauseweg die Kandare hältst«, ergänzte der Knecht scherzhaft, während beide Arm in Arm den Weg in Richtung Wirtshaus einschlugen.
Als sie den Gastraum betraten, wurden sie vom Wirt freudig begrüßt und sogleich von ein paar Männern an den Stammtisch gewunken. »Traut Euch nur her. Wir tun Euch nichts … wir sind hier nicht bei den ›Wilden Mändle‹ in Oberstdorf. Wir sind nur harmlose Städtler«, meinte ein bärtiger Geselle, der sich über jeden Seitenhieb freute, den er in Richtung Oberstdorf geben konnte.
Da der Kastellan und Otto in Immenstadt bekannt und allseits beliebt waren, entspann sich schnell eine angeregte Unterhaltung. So war es kein Wunder, dass es nicht bei ein, zwei Bierchen blieb. Es war einfach zu gemütlich. Die illustre Stammtischrunde, zu der sich im Laufe des späteren Nachmittags immer mehr Männer gesellten, erzählte sich die verschiedensten Geschichten und Neuigkeiten aus Immenstadt und vom Rest der Welt. Die Pest war ebenso Thema wie der Krieg, die katholischen Kaiserlichen und die protestantischen Schweden. Aber mehr noch interessierten die Zecher Neuigkeiten aus Staufen und dem Westallgäu. So musste Otto berichten, was es mit der Sache auf dem Markt und dem Tod des Wachsoldaten auf sich gehabt hatte.
»Man hat ja so einiges darüber gehört …«
Otto wusste, dass er erzählen konnte, was er wollte; es würde sowieso verdreht oder aufgebauscht die Runde im Städtle machen. Deshalb zog er es vor, nicht allzu viel von den Ereignissen beim Staufner Markt zu berichten und war froh, dass seine Zuhörer selbst vom Thema abkamen.
»Und was machen unsere Herren Beamten in Staufen?«, fragte einer aus der Runde.
»Ja, wie geht es den faulen Sesselfurzern?«, hakte ein anderer nach und erntete für die scharfsinnige Verfeinerung der Frage helles Gelächter.
Ulrich Dreyling von Wagrain, der ja selbst ein gräflicher Beamter war, ließ sich nicht provozieren und antwortete sachlich: »Die normalerweise in Immenstadt beschäftigten Beamten des Grafen benehmen sich in Staufen unauffällig und lassen sich kaum auf der Straße sehen.« Danach berichtete er der Runde alles, was sonst noch im westlichen Zipfel des Allgäus los war. Erst als ihm nichts mehr einfiel, meinte er: »Nun seid ihr aber dran! Was gibt es im Städtle Neues?«
Da ging knarrend die Tür auf. Sepp, der Obermeister der hiesigen Schmiedeinnung, trat ein und schaute mit verkniffenen Augen durch den Raum. Als er sich an das Halbdunkel der Gaststube gewöhnt hatte, rief er: »Ah, da seid Ihr ja! Ich habe Euch schon gesucht, Dreyling von Wagrain.«
»Habt Ihr mein Pferd etwa schon beschlagen?«
»Ja, edler Herr! Ich habe es gleich vor den Wagen gespannt und mitgebracht … und
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