Die Peststadt
werd's versuchen.«
Nottr, der sich aus den Magazinen zusätzliche Waffen geholt hatte, nickte zustimmend und spannte seine Muskeln. Er schien der einzige zu sein, der einem Kampf entgegenfieberte. Mythor, den Flügelhelm Carnens unter dem Arm, wusste zwar, dass er dem Anschlag Carbells entgangen war, dass aber die Gefahr nicht geringer geworden war. Er war ebenso im Bann dieser Stimmung wie viele andere im Bereich der Stadtmauern. Er sagte zu Dhorkan: »Ich bin hier fremd, aber es wird hoffentlich nicht unter deiner Würde sein, jemanden zu finden.«
»Wen?«
»Einen Diener, der jedem von uns einen Humpen Bier bringt. Einen kleinen Humpen für Kalathee, nicht wahr?«
»Rätselhafterweise«, antwortete Dhorkan, und sein scharfes, ernstes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, »habe ich gerade dasselbe gedacht. Sofort.« Als die Dienerinnen mit gefüllten Bechern in den Händen die Treppe herunterkamen, griffen die Caer an. Das erste Hornsignal ertönte aus der Richtung des Hafentors, und noch ehe dieses schauerliche Dröhnen abriss, antwortete der Wächter aus dem entgegensetzten Ende der Stadt. Die Bläser der anderen Türme schmetterten ihre Warnungen aus Norden, Süden und Westen, der dröhnende Schall der Hornstöße schien die Stadt zu erschüttern.
Mythor kannte die Bedeutung der einzelnen Signale nicht, aber alle konnten nur eines aussagen: Die Caer griffen von allen Seiten gleichzeitig an. Also bewegten sich mehr als tausend Mann gegen jedes einzelne Tor.
Trotzdem griffen Nottr und Mythor zu den Bechern. »Wir können nicht überall sein«, sagte Mythor und wischte den Schaum von seinen Lippen. »Und es dauert wohl noch etwas, bis der eigentliche Angriff beginnt. Wohin also? Zum Hafentor?«
Die Späher auf den Mauern hatten ihre Signale in dem Augenblick geblasen, an dem sie die ersten Caer gesehen hatten. Bis die Truppen die Türme und Tore erreichten, war noch Zeit. Dhorkan stürzte den Rest des Bieres hinunter und sagte entschlossen: »Los, Torm! Wir sehen zuerst am Hafentor nach.«
Sie hoben ihre Schilde auf, banden die Helme fest und rannten zu ihren Pferden. Augenblicke später galoppierten sie aus dem Schlosshof hinaus.
Ununterbrochen bliesen die Späher. Die düsteren Signale kamen noch immer aus allen Richtungen.
»Das ist der Angriff, vor dem wir uns alle gefürchtet haben«, stieß Elivara hervor. »Nun, es ist Tag, ein Vorteil für Nyrngors Verteidiger. Wir sind bereit.«
Sie winkte mit ihrer Streitaxt, die Gruppe setzte sich in Bewegung und verließ langsam den Hof. Nottr, Mythor und Sadagar schwangen sich in die Sättel und trabten hinterher.
In dem Moment, als Elivara, von Mythor, seinen Freunden und einigen Leibwachen begleitet, an der Pestburg vorbeifuhr, wurde eines der Hornsignale lauter, abgehackter und drängender. Königin Elivara schrie auf. »Wieder das Hafentor. Ich habe es mir so vorgestellt.«
Augenblicklich handelten sie alle. Das Gespann zog an und ratterte geradeaus, die Pferde wieherten grell, und ein Dutzend entschlossener Männer rasten vor, neben und hinter der Königin auf die Stelle zu, an der die Caer die Verteidiger in Bedrängnis brachten.
Als Mythor und Elivara die Mauerkrone erreichten, sahen sie, dass der Späher nicht aus Angst seine Signale derartig abgegeben hatte. Vom Lager und von den schwarzen Schiffen im Hafen marschierten schweigend gewaltige Mengen schwerst- bewaffneter Caer heran. Sie schleppten Rammen und zogen Belagerungsmaschinen mit sich. An ihrer Spitze ritt ein Gepanzerter mit Visierhelm und einem schwarzen Rundschild auf einem wuchtig gebauten braunen Hengst.
»Das muss Coerl O'Marn sein«, sagte Elivara und deutete auf den Anführer. »Jeder kennt seinen Namen.«
Neben dem kraftvoll tänzelnden Braunen gingen zwei Caer- Priester. Um die Gruppe hatte sich ein freier Raum gebildet. Die Caer schritten langsam aus. Noch waren die Verteidiger, wie es schien, vor Staunen und Entsetzen bewegungslos, aber dann ertönten einige laute Kommandos. Hornsignale riefen die Kampfgruppen zusammen. Auf den Mauern versammelten sich mehr und mehr Männer, von denen jedem eine Aufgabe zugewiesen worden war. Aber in unerschütterlicher Ruhe kamen die Caer näher.
»Es müssen zweieinhalbtausend oder mehr sein«, murmelte Mythor betroffen.
»Und alle werden zwischen diesen beiden Türmen angreifen«, erklärte Nottr. »Mir machen die Priester Sorgen.«
»Nicht nur dir!«
Die ersten Caer kamen an den Wall, der von verkohltem und zerbrochenem
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