Die Pfade des Schicksals
dass sie Esmer gestoppt hatten.
»Dann erzähl mir, was ihr Wyrd ist«, sagte sie. »Was bedeutet es?« Im nächsten Augenblick schüttelte sie jedoch den Kopf. »Nein. Das ist nicht, was ich fragen wollte.«
Wierd, Würd, Wyrd, Wort, Wurm: Linden hatte schon zu viele Erklärungen gehört. Auch weitere würden ihr nicht helfen, dieses Phänomen zu verstehen.
»Bevor wir Schwelgenstein verlassen haben, habe ich ihnen ein Versprechen gegeben. Ich habe gesagt, wenn sie jemals eine Möglichkeit fänden, mir zu sagen, was sie von mir brauchen, sollten sie es bekommen. Dieses Versprechen möchte ich halten.« Sie sehnte sich danach, wenigstens eines ihrer Versprechen zu halten, nachdem sie Anele bereits im Stich gelassen hatte.
Tatsächlich war jeder, der ihr jemals vertraut hatte, ins Verderben gerannt. Jetzt wandte sie sich direkt an den Lehrenkundigen: »Ihr habt so viel für uns getan. Für uns alle. Sagt mir, wie ich mich dafür revanchieren kann.«
Dutzende von Stimmen bellten durcheinander. Das klang wie das Kläffen einer Hundemeute auf der Fuchsfährte.
Frostherz Graubrand bemühte sich, alle zu verstehen. Dann schlug sie die Fäuste aneinander: eine Geste des Protests.
»Ich bitte euch!«, ächzte sie. »Ich kann nicht alles auf einmal aufnehmen. Höre ich mehr, als ich verstehen kann, bekomme ich gar nichts mehr mit.«
Das tumultartige Kläffen brach schlagartig ab. Der Lehrenkundige, der mit geweiteten Nasenlöchern prüfend die Luft einsog, verstummte ebenfalls.
Graubrand wandte sich beschämt an Linden. »Ich bin dieser Aufgabe nicht gewachsen. Vor allem die Wegwahrer sind begierig, ihr Wyrd zu erklären, aber ich höre nur wenig, was ich weitergeben kann. Manche sprechen von Wert und Andersartigkeit. Andere erwähnen Verwandlung oder Wiedergeburt. Aber was sie damit wirklich meinen, entgeht mir.«
Sie sah sich nach den Schwertmainnir um, bat stumm um Hilfe. Aber die anderen schüttelten den Kopf, um zu zeigen, wie verwirrt sie selbst waren.
»Anscheinend vermengen sie Begriffe auf eine Weise, die ich nicht verstehe«, erklärte sie Linden verlegen. »Setzen sie ihren eigenen Wert wirklich mit dem der Erde gleich - oder versuchen sie, irgendeinen subtilen Unterschied auszudrücken? Sehnen sie eine Veränderung ihrer selbst herbei, um besser in die Welt zu passen, oder wollen sie die Welt nach ihrem Bild verändern? Sie scheinen ihren Kurs nach vielen Leitsternen zu richten. Ich kann ihnen dabei nicht folgen.«
Nun sprach der Lehrenkundige wieder. Als er fertig war, nahm Graubrand die Schultern zurück und musterte Linden scharf. »In Bezug auf einen Aspekt deiner Frage ist ihre Antwort klar. Dein Stab des Gesetzes ist seinem Wesen nach für sie feindlich, obwohl sie sich in Maßen davor schützen können. In dieser Beziehung, Linden Riesenfreundin, begehren sie nichts, was du ihnen geben könntest.«
Linden seufzte innerlich. Sie brauchte eine andere Antwort. Etwas Greifbares, etwas Erreichbares: etwas, das sie wirklich tun konnte, um ihre seit langem bestehende Schuld auszugleichen.
Etwas, das die Last ihrer zunehmenden Finsternis erleichtern konnte.
Aber bevor sie Worte für ihr Bedauern finden konnte, trat Covenant auf den Lehrenkundigen zu. »Unter diesen Umständen«, erklärte er dem Wesen, »habe ich eine Frage.«
In seinem Tonfall schwang potenzieller Zorn mit, den er jedoch strikt im Zaun hielt.
»Esmer hat behauptet, nicht er habe uns in der Verlorenen Tiefe verraten. Aber Teufel noch mal! Er war als Einziger dort. Der Egger war bereits tot, und Roger war fort, und Kastenessen hat die Skurj geschickt, und Sie, die nicht genannt werden darf, ist nur, was sie ist.
Wovon hat Esmer also gesprochen? Wie sind wir verraten worden?«
Frostherz Graubrand, die wegen dieser Frage - oder wegen Covenants Benehmen - die Stirn runzelte, drehte sich wieder nach dem Lehrenkundigen um.
Einige Augenblicke lang reagierten alle Urbösen und Wegwahrer mit Schweigen. Dann stieß der Lehrenmeister rasch eine rau gebellte Antwort hervor.
Graubrand, die diesmal wörtlich übersetzte, verkündete: »Der Meer-Sohn und Haruchai hat von uns gesprochen.«
Covenant wartete steif und fordernd.
Wieder ein kurzes Blaffen, diesmal wie das Jaulen eines eingesperrten Hundes.
»Er hat unsere Absicht gekannt. Er hat sie verabscheut und zugleich ersehnt. Er hat euch für verraten gehalten, weil wir ihm unsere Fesseln nicht angelegt haben. Hätten wir das getan, hättet ihr ohne weitere Anstrengung oder Gefahr
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