Die Pfade des Schicksals
großes Wissen und den Stab des Gesetzes bei einem gefährlichen Vorhaben aufs Spiel zu setzen. Aber auf diese Stimmen hat er nicht gehört. Indem er sich die Verantwortung für das Schicksal derer, die fielen, angemaßt hat, hat er sie herabgesetzt - und die Verderbnis nicht klar erkannt. Statt den Verrat des Feindes zu entdecken, hat er die Schuld bei sich selbst gesucht und ist irrtümlich zum Ritual der Schändung gelangt, von dem es kein Zurück mehr gab. So ist es auch bei dir.«
Linden hörte wie unter Schock stehend zu - als wäre die Bedeutung seiner Worte so groß, dass sich ihre Nerven weigerten, sie zu absorbieren. Nein, dachte sie kopfschüttelnd. Nein. Diese Lektion habe ich gelernt, verdammt noch mal.
Ich dachte, ich hätte sie gelernt…
Narunal, der die Kolonne anführte, und Khelen umrundeten den ersten Sandsteinpfeiler und stiegen etwas steiler auf, um oberhalb des nächsten Pfeilers zu bleiben. Obwohl der Himmel bewölkt war, wurde der Tag wärmer. Die Pfeiler aus porösem Gestein schienen bereits in der Hitze zu flimmern, als könnten sie jederzeit zerplatzen.
Blut und Hölle! Linden, die im Stillen eine von Covenants Verwünschungen gebrauchte, erinnerte sich daran, dass sie selbst die Frage gestellt hatte. Sie musste zumindest versuchen, die Antwort zu verstehen.
»Auserwählte«, sagte Stave nochmals, nachdem er ihr Zeit gelassen hatte, zu protestieren. »Ich bezeichne die Wiedererweckung des Zweiflers nicht als Schändung. Das tun die Gedemütigten. Ich dagegen nicht. Aber dabei warst du selbst arrogant. Weil du Angst hattest, deine Gefährten würden dein Vorhaben missbilligen, hast du es vor ihnen geheim gehalten. So hast du ihnen die Freiheit geraubt, über den eigenen Weg entscheiden zu können. Aber du warst ehrlich genug, um einzugestehen, dass du keine Vergebung kennst. Und du hast auf Zweifeln bestanden. So hast du deinen Gefährten die Möglichkeit gegeben, die Extremität deiner Absichten einzuschätzen. Und wie du selbst gesagt hast, war dein Herz voller Liebe und Zorn, nicht voller Tadel. Deshalb unterscheiden deine Taten in Andelain sich wesentlich von denen, die Hoch-Lord Kevin dort verübt hat.
Aber jetzt …« Der ehemalige Meister zuckte mit den Schultern. »… stehen die Dinge anders. Jetzt berücksichtigst du nicht, dass Liand aus eigenem Antrieb gehandelt hat, dass Anele den Orkrest nicht ausdrücklich oder energisch verlangt hat, oder dass du Gefährten hattest, die sich in diesem Augenblick besser um den Alten hätten kümmern können. Du berücksichtigst nicht, dass Liand durch Kastenessens Hand umgekommen ist. Stattdessen setzt du deine Freunde dadurch herab, dass du glaubst, alle Schuld liege bei dir und keiner deiner Fehler sei jemals entschuldbar. So gehst du Wege, die dir Fangzahns Bösartigkeit bereitet, wie Mähnenhüter Mahrtiir gesagt hat. Darin folgst du Hoch-Lord Kevins Beispiel.
Nach dem jetzigen Stand der Dinge, Auserwählte, liegt eine Entweihung noch vor dir. Sie sitzt dir keinesfalls im Nacken.«
Linden fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Hätte sie nicht auf Hyn gesessen, hätte sie leicht vom Pferd fallen können. Eine Entweihung liegt noch vor dir, hatte Stave gesagt, als meinte er: Ich nehme nur wahr, dass ihr Bedürfnis nach Tod groß ist.
O Gott! Wie schlimm war das? Wie fatal war ihr persönliches Scheitern geworden? Hatte sie nichts aus Liands Tod, aus Aneles oder Galts gelernt? Von Ihr, die nicht genannt werden darf? Oder davon, dass sie die Schlange des Weltendes geweckt hatte?
Hast du mit Sunder und Hollian unter dem Sonnenübel verweilt, ohne etwas vom Untergang zu lernen?
Trotzdem geriet die Welt nicht ins Wanken. Die Ranyhyn strauchelten nicht, wurden nicht unsicher. Diese Schwächen waren allein ihre. Narunal und Khelen folgten einer hohen Klippe wie einem Festungswall: massiv aufgetürmt, sichtlich unüberwindbar. Nach zwei, drei Dutzend Schritten bogen sie bergauf ab und verschwanden, als hätte der Fels sie verschluckt. Hinter ihnen winkte Raureif Kaltgischt den Rest der Gesellschaft zu sich heran. Dann verschwand auch sie.
Als Hynyn und Hyn diese Stelle erreichten, stellte Linden fest, dass ihre Gefährten einen schmalen Engpass betreten hatten, der sich als Riss durch gewachsenen Fels in die Höhe zog. Der Riss war zu schmal, als dass Stave oder Graubrand neben ihr hätten bleiben können. Sie konnten nur hintereinander aufsteigen. Aber der mit Geröll bedeckte steile Anstieg behinderte die Ranyhyn nicht, und die
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