Die Pfeiler der Macht
mit Graf de Tokoly gesprochen?«
»Hab' ich.«
»Gut.«
»Ich hoffe nur, Sie wissen, was Sie tun.«
Ihr strafender Blick sprach Bände. Micky gab sofort klein bei.
»Wie töricht von mir. Sie wissen immer, was Sie tun.« Der zweite Tanz war ein Walzer, und Micky forderte Augusta auf. In ihrer Jugend hatte der Walzer noch als unschicklich gegolten, weil er die Partner so nahe zusammenführte - schließlich legte der Mann seiner Dame den Arm fast gänzlich um die Taille. Doch heutzutage tanzten selbst Mitglieder des Königshauses Walzer. Kaum hatte Micky sie in den Arm genommen, da spürte Augusta, wie eine Veränderung mit ihr vorging. Ihr war, als wäre sie wieder siebzehn und tanzte mit Strang. Strang dachte beim Tanzen nicht an seine Füße, sondern an seine Partnerin - und Micky verfügte über das gleiche Talent. Augusta fühlte sich in seinen Armen jung, schön und sorgenfrei. Sie spürte seine glatten Hände, nahm den männlichen Duft nach Tabak und Makassaröl wahr und fühlte die Wärme seines Körpers, der sich an den ihren schmiegte. Beim Gedanken an Rachel, die sein Bett teilen durfte, traf sie die Eifersucht wie ein Peitschenhieb. Vorübergehend erwachte die Erinnerung an die Szene im Krankenzimmer des alten Seth vor sechs Jahren, kam ihr jedoch unwirklich vor wie ein alter, längst vergessener Traum. Sie konnte kaum noch glauben, daß sich das damals tatsächlich alles zugetragen hatte.
Manche Frauen in ihrer Situation hätten gegen eine heimliche Liebesaffäre nichts einzuwenden gehabt, und auch Augusta träumte hin und wieder von verstohlenen Stelldicheins mit Micky. Doch dabei ließ sie es bewenden. In Wirklichkeit konnte sie sich gar nicht vorstellen, die erforderliche Geheimniskrämerei, die verstohlenen Umarmungen, die Ausflüchte und Vorwände und die Rendezvous in Seitenstraßen und Absteigen auf sich zu nehmen -ganz abgesehen davon, daß solche Affären oft genug eben doch aufflogen. Eher war sie geneigt, Joseph zu verlassen und mit Micky durchzubrennen. Daß Micky dazu bereit wäre, hielt sie durchaus für möglich, und sollte er zögern, so traute sie sich allemal zu, seiner Bereitschaft auf die Sprünge zu helfen. Doch jedesmal, wenn sie mit dem Gedanken spielte, fiel ihr sofort ein, was sie alles zu verlieren hatte: ihre drei Häuser, ihre Kutsche, das Geld, das ihr für ihre Garderobe zur Verfügung stand, ihre gesellschaftliche Stellung, den Zutritt zu Bällen wie dem heutigen. Strang hätte ihr dies alles geben können, während Micky ihr nur sein verführerisches Selbst zu bieten hatte - und das reichte ihr nicht.
»Dort drüben, sehen Sie mal«, sagte Micky.
Augusta folgte der Richtung seines Kopfnickens und sah Nora mit dem Grafen de Tokoly tanzen. Sie straffte sich. »Laß uns versuchen, näher an sie heranzukommen«, sagte sie. Es war gar nicht so leicht, denn in der gleichen Ecke des Ballsaals hielt sich der Kronprinz mit seinem Gefolge auf, und alle Welt versuchte, in seine Nähe zu gelangen. Doch Micky steuerte Augusta geschickt durch die Menge, bis sie die beiden fast erreicht hatten.
Der Walzer dröhnte weiter; endlos wiederholte sich ein und dieselbe banale Melodie. Bisher unterschieden sich Nora und der Graf in nichts von anderen tanzenden Paaren. Hin und wieder flüsterte er ihr etwas zu, was sie mit einem Nicken oder einem Lächeln quittierte. Vielleicht drückte er sie eine Spur zu eng an sich, aber doch wiederum nicht so sehr, daß es aufgefallen wäre. Das Orchester spielte und spielte. Augusta begann sich zu fragen, ob sie ihre beiden Opfer falsch eingeschätzt hatte. Die Unruhe machte sie so steif, daß ihre Tanzschritte ungeschickt wurden. Der Walzer näherte sich seinem furiosen Höhepunkt. Keine Sekunde ließ Augusta Nora und den Grafen aus den Augen. Plötzlich trat eine Veränderung ein: Noras Miene gerann zu einer Maske aus Bestürzung und Empörung - offenbar hatte Graf Tokoly eine Bemerkung gemacht, die ihr nicht behagte. Augustas Hoffnungen wuchsen. Doch was immer der Graf gesagt haben mochte - Nora war eindeutig noch nicht so nachhaltig brüskiert, daß sie ihm deswegen eine Szene zu machen bereit war. Sie tanzte weiter mit ihm.
Schon erklangen die letzten Takte des Walzers, und Augusta meinte, alle Hoffnung fahrenlassen zu müssen - da ging die Bombe schließlich doch noch hoch.
Augusta war die einzige Person im Saal, die genau sah, wie es zu dem Eklat kam: Der Graf brachte seine Lippen nah an Noras Ohr und flüsterte ihr etwas zu. Nora errötete,
Weitere Kostenlose Bücher