Die Pfeiler des Glaubens
Gotteshaus.
Die Morisken in der Vega warteten. Wohin würde man sie verbannen? Wovon sollten sie leben? Allein die Vorstellung an ein Leben fernab ihrer Heimat und noch dazu unter der Herrschaft der hasserfüllten Christen war eine andauernde Qual. Einige schöpften zwar noch Hoffnung aus der wiederentfachten Rebellion von Aben Aboo, aber was sie darüber hörten, klang nicht sonderlich ermutigend: Der Großkomtur von Kastilien und der Herzog von Arcos kämpften offensichtlich sehr erfolgreich gegen die versprengten Truppen des Königs von al-Andalus.
Am 1. November befahl Don Juan die endgültige Verbannung, und dreitausendfünfhundert Morisken verließen Granada unter strenger Bewachung in Richtung Córdoba, darunter auch die Familie Ruiz aus Juviles. Nur mehr in Lumpen gekleidet, ausgehungert und krank legten sie die Strecke in sieben Tagen zurück.
Der erste Tag führte sie nach Pinos. Während Don Francisco de Zapata dort für sich und seine Leute eine geeignete Unterkunft fand, mussten die Morisken die eisige, regnerische Nacht im Freien verbringen. Am frühen Morgen zogen sie weiter nach Moclín, wo eine eindrucksvolle Festung seit Jahrhunderten den Zugang zur Vega und zur Stadt Granada bewachte. Die Strecke war steil und anstrengend, zudem setzte sich die Kälte aus den Bergen in ihren durchnässten Kleidern und in ihren Knochen fest. Da kein einziger Moriske unterwegs verloren gehen durfte, wurden die kräftigen Männer gezwungen, die Schwachen und Toten zum nächsten Nachtlager zu tragen. Karren oder Maultiere standen ihnen dafür nicht zur Verfügung. Auch Her nando trug einen alten, kranken Mann die Anhöhe hoch, während Ibrahim mit Aischa, Fatima und den Jungen weit voranging. Der Kranke konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, sein Husten wurde immer heftiger und dröhnte Hernando in den Ohren. Am Ende war er einer der siebzig Morisken, die diese Nacht nicht überlebten. Der einzige Trost für die Vertriebenen war, dass sie die Leichname ihrer Glaubensbrüder aus Mangel an Särgen der Tradition entsprechend in jungfräulicher Erde bestatten konnten.
Einige Morisken versuchten in ihrer Verzweiflung zu fliehen. Aber Don Juan hatte verfügt, dass jeder Soldat, der einen Entflohenen aufgriff, ihn als Leibeigenen behalten durfte. Wenn ein Moriske fehlte, machten sich die Soldaten sofort begierig auf die Suche nach dem Vermissten, und sobald sie ihn gefasst hatten, verpassten sie ihrem neuen Sklaven ein Brandzeichen auf die Stirn oder die Wange. Die Schmerzensschreie erschütterten die gesamte Kolonne der Vertriebenen.
Von Moclín aus führte sie ihr Weg über die Berge nach Alcalá la Real, wo auf den Fundamenten der dortigen Moschee gerade eine monumentale Abteikirche gebaut wurde. Diesmal musste Hernando mithilfe eines anderen jungen Mannes eine alte Frau tragen. In der Nacht zuvor war ihm aufgefallen, dass Fatima große Angst um Humam hatte. Der Kleine hatte fürchterlich gehustet.
In Alcalá la Real kam Aischa auf Hernando zu und erzählte ihm unter Tränen von Humams Tod: Wie bei dem alten Mann war aus dem trockenen Husten ein pfeifender Atem geworden, und der Kleine hatte ununterbrochen gezittert. Fatima hatte die Christen auf Knien angefleht, eine Pause machen zu dürfen, um dem Kleinen etwas Heißes zubereiten zu können, aber das Flehen der erschöpften Mutter traf nur auf taube Ohren und Verachtung. Insgeheim hatten die Soldaten wohl darauf gehofft, dass diese junge, selbst im Leid noch wunderschöne Frau mit ihrem Sohn fliehen würde. Auf dem Markt von Córdoba hätte sich bestimmt ein guter Preis für sie erzielen lassen.
»Kein einziger Christ hat uns geholfen«, schluchzte Aischa und berichtete von den mitfühlenden Blicken der anderen Morisken.
Etwa eine Meile vor Alcalá la Real hatte Humam plötzlich aufgehört zu zittern, und Aischa musste der verzweifelten Fatima den leblosen Körper des Kleinen aus den starren Armen reißen.
Da Hernando bei den Christen als Ehemann der jungen Mutter galt, musste er zu den Amtsschreibern gehen, die den Todesfall vermerkten und das Ableben des kleinen Humam bestätigten. Fatima sagte kein Wort. In der Dämmerung versammelten sich Hernando, Ibrahim, Aischa und Fatima wie so viele andere Moriskenfamilien etwas abseits des Lagers und bestatteten den Kleinen – unter dem strengen Blick der Soldaten des Corregidors. Aischa wusch die Leiche des Kindes mit dem eiskalten Wasser aus einem der Bewässerungskanäle und entdeckte zwischen Humams
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