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Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildefonso Falcones
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Kleidung die Fatimahand, das Amulett seiner Mutter. Aischa summte weiter die alten Wiegenlieder und nahm das Schmuckstück heimlich an sich. Dann hob Ibrahim ein Loch aus, und sie beerdigten Humam – ohne einen Alfaquí, ohne Gebete und ohne Leichentuch. Fatima stand blass und wie versteinert da. Sie hatte keine Tränen mehr.
    Nach Alcalá la Real wurden die Tagesstrecken länger. Sie stiegen bis in die Felder vor Jaén hinab. Jeglicher Überlebenswille schien seit der letzten Nacht aus Fatima gewichen zu sein. Sie sprach mit niemandem, fiel immer mehr zurück und musste von Ibrahim schließlich zum Weitergehen gezwungen werden. Sie war gebrochen. Hernando fühlte Verzweiflung in sich aufsteigen, wenn er ihren wehrlosen Körper dicht neben dem seines Stiefvaters sah.
    Nach drei weiteren gnadenlosen Etappen erreichten sie schließlich Córdoba. In zerrissenen Kleidern, ohne Schuhe und mit vollkommen erschöpften Kindern oder Kranken auf dem Rücken betraten sie die Stadt in Fünferreihen – von Hellebardenkompanien eskortiert.
    Von den dreitausendfünfhundert Morisken, die die Vega von Granada verlassen hatten, waren nur dreitausend in Córdoba angekommen. Fünfhundert Glaubensbrüder hatten sie unterwegs verloren.
    Es war der 12. November 1570.

II

Im Namen der Liebe
    Ich wusste es nicht. Hätte ich es gewusst, hätte ich niemals erlaubt, dass jemand Hand an dieses uralte Bauwerk legt. Ihr habt etwas erschaffen, was es andernorts bereits gibt, und dafür etwas zerstört, was einmalig auf der Welt war.
    Das sind die Worte, die Kaiser Karl V. bei seinem Besuch
der neuen Kathedrale im Inneren der alten Moschee von
Córdoba 1526 zugeschrieben werden.
    Der Kaiser hatte die Bauarbeiten persönlich genehmigt,
um einen Streit zwischen dem Rat der Stadt und dem
Domkapitel zu beenden.

24
    S ie ließen die Calahorra-Festung hinter sich, überquerten die alte römische Brücke und gelangten durch die Puerta del Puente zur Rückseite der riesigen Kathedrale. Von den Soldaten streng bewacht und von den Stadtbewohnern sensationslüstern begafft, betrachteten Hernando und die anderen Morisken die Kathedrale ehrfurchtsvoll, denn sie wussten, was sie nun vor sich hatten: die Mezquita, die große Hauptmoschee aus der Kalifenzeit. Die einfachen Bewohner der Alpujarras hatten sie noch nie mit eigenen Augen gesehen, aber sie hatten schon viel von diesem einzigartigen Bauwerk gehört. Hinter diesen jahrhundertealten Mauern befand sich der Mihrab, vor dem schon der Kalif gebetet hatte. Ein leises Raunen ging durch die Menge der Deportierten. Ein Mann, der einen kleinen Jungen auf den Schultern trug, zeigte auf die Moschee.
    »Verdammte Ketzer!«, schimpften einige Schaulustige, als wollten sie die Kirche mit ihren Beleidigungen vor den heidnischen Blicken schützen.
    »Elende Gotteslästerer! Mörder!«
    Doch als ein alter Mann einen Stein nach den Morisken werfen wollte, griffen die Soldaten endlich ein und trieben die Kolonne weiter. Hinter der Kathedrale wurden die Gassen immer enger, und die Soldaten schoben die Gaffer beiseite. Nur die Bewohner der weiß getünchten zweistöckigen Häuser konnten den Zug der Vertriebenen von ihren Balkonen aus beobachten. Durch das Straßengewirr gelangten die Morisken schließlich auf die Plaza del Potro, einen kleinen, von Gebäuden gesäumten Platz, der dem gesamten Stadtviertel seinen Namen gab. Corregidor Zapata hatte ihn als Auffanglager für die Morisken ausgewählt, die den Marsch überstanden hatten. Ein Großteil der dreitausend Männer, Frauen und Kinder musste aber in die angrenzenden Gassen ausweichen. Der Corregidor richtete daraufhin in dem Viertel Zugangskontrollen ein, und die Morisken warteten erneut auf Anordnungen des spanischen Königs über ihr endgültiges Ziel.
    Erst am Abend konnten viele ihren Durst aus großen, bauchigen Tonkrügen stillen. Als die Familie Ruiz an der Reihe war und Ibrahim den Wasserstrahl mit den Händen auffing, hatte Hernando endlich Gelegenheit, Fatima aus der Nähe zu beobachten: Ihr Haar war verfilzt und hing zerzaust über die eingefallenen Wangen. Sie zitterte zu sehr, als dass sie ihre Hände zu einer Trinkschale hätte formen und zum Mund führen können. Das kostbare Wasser floss ihr durch die Finger. Wie sollte es mit ihr weitergehen? Einen neuerlichen Marsch würde sie nicht überstehen.
    Die Straßenkontrollen betrafen nur die Morisken, die leicht an ihrer zerschlissenen Kleidung und den ausgezehrten Körpern zu erkennen waren. Gewöhnliche

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