Die Pfeiler des Glaubens
Seitenwände.
Der hagere, dunkelhäutige Sakristan schlug ein Buch auf und hüstelte.
»Francisco Alguacil«, las er laut vor.
»Hier.«
Andrés überprüfte, woher die Antwort kam, und trug etwas in das Buch ein.
»José Almer.«
»Hier.«
»Milagros Garvía. María Ambroz …« Je weiter Andrés in der Liste kam, desto knarrender wurde seine Stimme.
»Marcos Núñez.«
»Hier.«
»Du hast letzten Sonntag gefehlt«, stellte der Sakristan fest.
»Ich war …«, setzte der Mann zu einer Erklärung an, fand aber nicht die richtigen Worte und beendete den Satz auf Arabisch, während er aufgeregt ein Dokument hervorholte.
»Komm her«, befahl Andrés.
»Ich war in Ugíjar«, stieß er endlich hervor und brachte dem Sakristan das Dokument.
Andrés überflog das Schreiben und reichte es dem Pfarrer, der den Inhalt sorgfältig prüfte und kurz nickte. Der Prior der Stiftskirche von Ugíjar bestätigte, dass der Neuchrist Marcos Núñez aus Juviles am Sonntag, dem 5. Dezember, beim Hauptamt in jener Stadt gewesen war.
Über das Gesicht des Sakristans huschte ein sanftes Lächeln. Jeden Sonntag und an allen hohen Feiertagen musste er die Anwesenheit der Neuchristen überprüfen. Einige Aufrufe blieben unbeantwortet, was sorgfältig vermerkt wurde. Im Gegensatz zu Marcos Núñez konnten zwei Frauen ihr Fortbleiben am vorigen Sonntag nicht rechtfertigen und begannen hastig sich zu entschuldigen. Andrés blickte zum Pfarrer. Eine der Frauen gab ihren Versuch abrupt auf, als Don Martín ihr mit einer herrischen Geste bedeutete zu schweigen, die andere Frau behauptete, sie sei am letzten Sonntag krank gewesen.
»So fragt doch meinen Mann!«, rief sie und sah sich verzweifelt nach ihrem Ehemann um, der in einer der hinteren Reihen saß. »Er wird euch …«
»Sei still, du Teufelsanbeterin!« Don Martíns Brüllen brachte die Moriskin zum Schweigen, und der junge Sakristan notierte die Namen der beiden Frauen und die zu entrichtende Strafe: Sie sollten jeweils einen halben Real bezahlen.
Nachdem Andrés die Anwesenden gezählt hatte, begann Don Martín mit der Messe – nicht jedoch ohne den Sakristan vorher darauf hinzuweisen, dass der Büßer die Kerzen höher halten solle.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes …«
Nur wenige verstanden die Worte aus der Heiligen Schrift, und die meisten konnten der Zeremonie und den zahlreichen Wutausbrüchen des Priesters während der Predigt kaum folgen.
»Glaubt ihr etwa, das Wasser irgendeiner Quelle könne euch von einer Krankheit heilen?« Don Martín deutete auf den knienden Mann. Er drohte ihm mit dem Zeigefinger, und sein Gesicht war angespannt. »Kehrt um und tut Buße. Christus allein kann euch von Sorge und Leid erlösen, mit denen der Herr eure Zügellosigkeit, eure Blasphemie und eure Ketzerei bestraft!«
Viele Morisken verstanden kein Spanisch und verständigten sich mit den Christen durch eine Mischung aus Arabisch und Spanisch. Aber alle mussten das Vaterunser, das Ave-Maria, das Glaubensbekenntnis, das Salve-Regina und die Zehn Gebote aufsagen können, sonst wurden sie bestraft oder durften nicht heiraten. Die Männer und Frauen mussten deshalb den Katechismusunterricht besuchen. Erst wenn sie die Gebete auswendig aufsagen konnten, wurden sie vom Unterricht befreit.
Beim Gottesdienst sprachen alle die Gebete mit. Die Kinder schrien dabei so laut, dass die Eltern den Priester täuschen und heimlich »Allahu akbar«, »Allah ist groß«, dazwischenrufen konnten.
»O Erhabener! Führe mich mit deiner Macht …«, rief ein junger Moriske im Tumult des Vaterunser-Geschreis der Kinder.
Der Pfründenbesitzer Don Salvador drehte sich wütend zu ihnen und lauschte angestrengt.
Ein anderer Moriske nutzte die Gelegenheit und flehte: »O Stifter des Friedens …«
Don Salvador wurde rot vor Zorn.
Erst am Ende des Gebetes konnte man wieder die schroffe Stimme des Priesters heraushören.
»Lob sei Gott!«, wagte jetzt noch jemand in einer der hinteren Reihen zu rufen.
Die meisten Morisken erstarrten, einige richteten den Blick auf Don Salvador. Wer hatte es gewagt, Allah so offen zu preisen? Der Pfründenbesitzer drängte sich durch die Reihen und stieß dabei einige Männer zur Seite, konnte den Gotteslästerer aber nicht ausmachen.
Als die erste Hälfte des Gottesdienstes vorbei war, nahmen der Sakristan und der Pfründenbesitzer unter dem wachsamen Auge des Priesters die Gaben der Gemeinde entgegen: Münzen, Brot, Eier, Leinenstoff …
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