Die Pfeiler des Glaubens
Haussammlungen Almosen für diese Bedürftigen. Bei einem seiner Aufenthalte in der Stadt hatte Don Alfonso de Córdoba den Vorsitz einer der Bruderschaften übernommen und so von dem entfernten Verwandten erfahren. Schon am nächsten Tag hatte er ihm seine Gastfreundschaft angeboten.
Nachdem Hernando den ganzen Nachmittag Arbasia bei der Arbeit zugesehen hatte, war er nun auf dem Rückweg zum Palast. Die kurze Strecke von der Mezquita zum Viertel Santo Domingo legte er in aller Gemächlichkeit zurück, machte mal hier, mal dort halt und ver trieb sich die Zeit, als wollte er den Palast so spät wie möglich betreten. Nur äußerst selten – wenn sich der Herzog in Córdoba aufhielt und Hernando an seiner Seite haben wollte – gelang es ihm, sich in diesem wunderschönen, ruhigen Anwesen wohlzufühlen. Sobald Don Alfonso aber außer Haus war, litt der Moriske unter den subtilen Demütigungen der anderen Palastbewohner und hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt, den herrschaftlichen Palast einfach wieder zu verlassen.
Aber er war zu keiner Entscheidung fähig. Sein Herz war leer, er hatte seine Willensstärke eingebüßt, und nach all den Schicksalsschlägen blieb ihm einfach keine Kraft mehr, sich dem Leben zu stellen. In den Nächten suchten ihn Albträume heim, in denen Ubaid seine Familie wieder und wieder umbrachte, ohne dass er ihn aufhalten konnte. Später wichen diese furchtbaren Traumbilder erfreulicheren Erinnerungen an glückliche Tage: Fatima, die ihn anlächelte, Inés, die ihn in der Haustür erwartete, Francisco, der in die Niederschrift der Ziffern vertieft war, die ihm Hamid mit sanfter Stimme diktierte. Hernando fand in diesen Erinnerungen endlich etwas Frieden, und die Tage wurden für ihn zu einer langen Abfolge von Stunden, deren Ende er herbeisehnte. Nur in den Nachtstunden konnte er seine Lieben wiedersehen, auch wenn es bloß im Traum war.
Hernando brauchte eine Beschäftigung, damit die Tage schneller zu Ende gingen – eine Aufgabe. Seine Arbeit im königlichen Marstall hatte er nach dem Vorfall mit Azirat verloren. Sollte er wieder in der Gerberei arbeiten? Als er eines Tages gegenüber Don Alfonso angedeutet hatte, dass er sich doch in dessen Stallungen als Bereiter betätigen könne, hatte der Herzog ihm eine eindeutige Antwort gegeben.
»Du willst doch wohl nicht, dass die Leute denken, ich sei meinem Lebensretter gegenüber nicht großzügig!«
Er hatte mit dem Herzog im Audienzzimmer des Palastes gesessen, während im Vorzimmer zahlreiche Bittsteller warteten.
»Dir fehlt es doch an nichts, oder?«, hatte er gefragt, ohne den Blick von den Dokumenten vor sich abzuwenden. »Behandelt man dich nicht gut?«
Wie hätte er dem Herzog sagen sollen, dass seine eigene Gattin ihn ganz besonders demütigte? Don Alfonso de Córdobas Dankbarkeit war vollkommen aufrichtig, das wusste Hernando, aber Doña Lucía …
»Also?«, hatte der Herzog hinter seinem Schreibtisch sitzend gefragt.
»Doch. Natürlich. Es war nur so ein Gedanke«, hatte sich Hernando entschuldigt.
Was auch immer geschehen mochte, nie und nimmer würde er in die Gerberei zurückkehren, sagte er sich an diesem Tag, als er endlich am Palast ankam. Der Pförtner ließ ihn ein wenig zu lange warten, ehe er das Tor öffnete. Er gewährte dem Morisken wortlos Einlass – allerdings ohne die Verbeugung, mit der er die Hidalgos begrüßte. Hernando gab ihm im Eingang seinen Umhang.
»Gott sei mit dir«, sagte er zu dem Bediensteten, der das Kleidungsstück entgegennahm, ohne seinen Besitzer auch nur eines Blickes zu würdigen.
Hernando unterdrückte einen Seufzer und stellte sich der unendlichen Weite des Palastes: Von diesem bis zu jenem Moment, in dem er sich in die menschenleere Bibliothek zurückziehen konnte, würde er wieder einer langen Abfolge kleiner Erniedrigungen ausgesetzt sein.
Hernando beobachtete das geschäftige Treiben der Diener in den Gängen. Sie sprachen kein Wort, sondern eilten nur hin und her. Bald wurde das Abendessen serviert. Mehr als hundert Bedienstete kümmerten sich um das Wohl des Herzogpaares, ihrer Familienangehörigen und der übrigen Palastbewohner.
Hernando hatte gelernt, das Personal zu unterscheiden. Der Kaplan, der Kammerherr, der Sekretär, der Leibdiener des Herzogs und die Zofe der Herzogin standen an der Spitze der Hofämter, gefolgt vom Hausdiener, Stallmeister, Kämmerer und Schatzmeister. Zudem gab es den Wirtschafter, den Koch, den Mundschenk, den Festordner, einen
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