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Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildefonso Falcones
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geschrieben vorfinden, damit sie sich immer daran erinnern und sie vor Augen haben, und je schöner die Schrift ist, desto besser.«
    Damals, als sie die Koranabschriften anfertigten, hatte ihm Don Julián von den verschiedenen Schreibstilen erzählt. Er sprach vor allem von der eckigen Kufi-Schrift, die die Umayyaden in Córdoba verwendet hatten, aber auch vom kursiven Nasch-Duktus der Nasriden in Granada. Doch so gern sie sich auch über besondere Schriftzüge oder die kunstvolle Perfektion unterhielten, die einige herausragende Kalligraphen erreicht hatten, stand die Schönheit für ihre eigenen Abschriften niemals im Vordergrund. Sie mussten für die Gemeinschaft so viele Koranexemplare wie möglich anfertigen, und hierfür galt das Gebot der Schnelligkeit.
    Als Hernando an diesem Abend die Bibliothek betrat und die Dochte der Öllampen kürzte, hatte er nur eines im Sinn: Er wollte zu Feder und Papier greifen und sich Gott nähern, so wie Arbasia dies mit seinen Bildern tat. Er hatte die erste Sure schon deutlich vor Augen: Die senkrechten Schwünge der geradlinigen Buchstaben wollte er zu einem Kreis verlängern und die Vokalzeichen in Schwarz, Rot oder Grün ausführen. Ob es in der Bibliothek wohl Tinte in verschiedenen Farben gab? Weder der Sekretär noch der Schreiber benutzten sie für ihre Arbeit, das wusste Hernando. Dann musste er sie eben selbst kaufen. Nur wo?
    Hernando setzte sich an einen Schreibtisch – umgeben von wertvollen Büchern in kunstvoll geschreinerten Regalen aus Edelhölzern. Natürlich hatte er keine farbige Tinte gefunden. Er betrachtete die Schreibfedern, das Tintenfass und die Blätter vor sich. Dann würde er erst einmal üben, entschied er. Er tauchte eine Feder ein und zog mit plötzlich anwachsendem Vergnügen einen Strich: Alif, der erste Buchstabe des arabischen Alphabets, lang und sinnlich gebogen, wie der menschliche Körper und wie es bereits vor sehr langer Zeit festgelegt worden war.
    Plötzlich drang Gelächter aus dem Patio in den Lesesaal. Hernando erschrak. Fast hätte er das Tintenfass umgestoßen. Was hatten die Leute dort zu suchen? Er nahm das Papier, faltete es und steckte es unter sein Hemd. Sein Herz raste. Da hörte er, wie sich das Lachen langsam entfernte und immer leiser wurde. Damit hatte er nicht gerechnet, dachte Hernando, während sich sein Herzschlag wieder beruhigte. Er sollte sich in der Bibliothek eines christlichen Herzogs lieber nicht mit arabischer Kalligraphie befassen! Jederzeit konnte irgendein Hidalgo oder Diener eintreten! Vielleicht sollte er sich lieber in seinem Schlafzimmer einschließen und dort schreiben. Doch er verwarf diesen Gedanken sofort. Seit zwei Jahren suchte er nun schon regelmäßig nach dem gemeinsamen Abendessen die Bibliothek auf, während die übrigen Palastbewohner lasen oder sangen und darauf warteten, dass Doña Lucía sich in ihre Privatgemächer zurückzog, damit sie den Palast verlassen und den Vergnügungen nachgehen konnten, die ihnen das nächtliche Córdoba bot. Wenn er auf einmal seine Gewohnheiten änderte, würde man bestimmt misstrauisch. Außerdem, wo sollte er das Schreibzeug und die Blätter aufbewahren? Die Diener – und vielleicht nicht nur sie – durchsuchten immer wieder seine wenigen Habseligkeiten. Das war ihm von Anfang an aufgefallen, selbst die Truhe, die er immer verschlossen hielt, war durchwühlt. Jemand hatte offensichtlich einen Zweitschlüssel. Nur seinen wichtigsten Schatz – die goldene Fatimahand – hatte er vom ersten Tag an in der Falte eines bunten Wandteppichs versteckt. Der kleine Anhänger war dort sicher. Aber eine Schreibfeder, ein Tintenfass und Papier?
    Hernando ließ den Blick durch die geräumige Bibliothek schweifen. Wo konnte er nur … Sein Blick fiel auf eine Tür am anderen Ende des Raums, die in ein Bücherregal eingelassen war und in das ehemalige Minarett führte. Er hatte es schon einmal aus Neugierde betreten, war dort aber nur von einem einzigen, schmerzhaften Wunsch übermannt worden: den Ruf des Muezzins zu hören.
    Hernando zog das zerknitterte Papier unter seinem Hemd hervor und betrachtete das Alif. Dieser Buchstabe unterschied sich deutlich von allen anderen, die er jemals geschrieben hatte: Dieses Alif zeugte von einer einzigartigen Hingabe. Dies war der erste Buchstabe, bei dem er versucht hatte, sich Gott durch die Schrift zu nähern, so wie Arbasia es in seinen heiligen Bildern tat.
    Er stand auf, nahm einen Leuchter und ging prüfend durch die

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