Die Pfeiler des Glaubens
Turm ist für sie unwichtig. Sie sind für die Sicherheit der Neubauten zuständig.« Hernando überlegte einen Augenblick. »Ich habe eine Idee. Geht um die Moschee herum, und auf der anderen Seite, noch hinter der Calle de la Cárcel, verhüllt ihr eure Gesichter und täuscht einen Streit vor. Sobald ich eure Degen und Schreie höre, gehe ich in den Turm.«
Die drei Männer nahmen Hernandos Vorschlag erleichtert an und eilten über die Plaza de Bib-Rambla zur Calle de la Cárcel. Sobald er allein war, musste Hernando wieder an Isabel denken. Würde er nie wieder mit ihr sprechen können? Und wollte er sie überhaupt wiedersehen? Oder waren seine Gefühle nur eine Illusion – hervorgerufen durch den Anblick der fantastischen Alhambra? Hernando schloss die Augen und seufzte.
Schreie holten ihn in die Wirklichkeit zurück.
»Santiago!«, gellte es durch die Nacht.
Hernando überlegte keine Sekunde. In wenigen Sätzen war er an der Fassade und schob sich im Schutz der Dunkelheit dicht an der Mauer entlang. Der Turm war vom Platz aus nicht zugänglich. Anscheinend gab es eine Tür in der Moschee. In der Nähe der Kopfseite des Gotteshauses leuchteten einige Feuer. Die Wächter standen um die Flammen und horchten auf die Schreie und das Degenklirren aus der Calle de la Cárcel. Hernando schlich weiter, und plötzlich entdeckte er eine Tür. Er stieg die enge Treppe hinauf, bis er – oben angekommen – wieder die nächtliche Brise um sich spürte. Don Pedro und seine Gefährten lieferten sich immer noch heftige Wortgefechte, aber Hernando achtete nicht weiter auf sie. Von hier aus konnte er die Alhambra sehen und die ganze Stadt überblicken. Wie oft hatte der Muezzin die Gläubigen von diesem Minarett aus zum Gebet gerufen!
»Allahu akbar!«, flüsterte er in den Nachthimmel.
Im Mondlicht suchte er nach einem Quader, der schon gelöst war, um zur Wiederverwendung hinabbefördert zu werden. Schließlich fand er eine lose Steinplatte, schob diese zur Seite und legte die kleine Truhe in die Lücke dahinter. Die Steinplatte rückte er wieder davor. Dann stieg er die Stufen hinunter und eilte zur Alcaicería. Schließlich ging er gemächlich über die Plaza de Bib-Rambla zur Calle de la Cárcel, um die Auseinandersetzung der vermeintlichen Streithähne zu schlichten.
53
A nfang Mai 1588, nur wenige Tage bevor die Armada von Lissabon aus in See stach, um England zu erobern, schrieb Philipp II. dem Erzbischof von Granada: Er bedankte sich für das Geschenk – den Teil des Schleiers der Heiligen Jungfrau, den man ihm nach El Escorial gesandt hatte – und beglückwünschte sich im Namen seiner Königreiche für den Fund der so wertvollen Reliquien. Kurz nachdem Bauarbeiter beim Abriss der Torre Turpiana die kleine Truhe gefunden hatten – und darin das Pergament des heiligen Caecilius, den Schleier der Maria und zudem die Reliquie des heiligen Stephanus –, lag ganz Granada im christlichen Freudentaumel. Endlich hatten sie die so ersehnten Zeugnisse des heiligen Caecilius. Die Bestätigung, dass Granada vor der Ankunft der Muslime genauso christlich gewesen war wie die übrigen bedeutenden Städte im spanischen Reich, entfachte in der Bevölkerung eine religiöse Inbrunst und einen Mystizismus, dem die Kirche keineswegs entgegenwirkte. Seitdem berichteten viele fromme Menschen davon, mysteriöse Feuer und Erscheinungen gesehen oder Wunder und seltsame Phänomene erlebt zu haben. Die Kathedrale von Granada hatte nun ihre Reliquien, und der Glaube des Volkes musste sich nicht mehr nur auf das reine Wort stützen!
Aischa war überrascht. Einer der beiden Moriskenbettler der Stadt, der gerade eben noch die Passanten in der Calle de la Feria um Almosen gebeten hatte, schloss sofort seine zitternde, dreckige Hand, als sie ihm eine Blanca-Münze geben wollte. Die Frau behielt das Geldstück zwischen den Fingern, da spuckte der Mann vor ihr aus und kehrte ihr den Rücken. Sogleich war sie von christlichen Bettlern umringt, die die Münze haben wollten. Das Gesetz des Propheten verpflichtete sie, ein Almosen zu geben, aber von Christen war dabei nicht die Rede. Als sie verstört sah, wie genau der Mann, der ihre Blanca-Münze verschmäht hatte, nun wieder um eine milde Gabe bat, ließ sie das Geldstück in eine der geöffneten Hände fallen, die sie unerbittlich bedrängten.
Nicht einmal bei den Bettlern erfuhr sie Achtung! Aischa schleppte sich in Richtung der Webstube von Juan Marcos. Die Nazarenerin! Seit sich in
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