Die Pfeiler des Glaubens
befiehlt, sie zu untersuchen, und falls darunter solche sind, die reich und angesehen sind, sollen diese festgenommen und gut verwahrt werden, um ihnen ihre Absichten zu entlocken; bei einfachen Leuten aber sollen sie sich nicht bemerkbar machen und sie ziehen lassen, denn je weniger bleiben, desto besser.
Der Staatsrat in einer Stellungnahme vom 24. Juni 1608
M i guel war inzwischen über dreißig Jahre alt, aber sein Aussehen und seine Behinderung ließen ihn um einiges älter wirken. Ihm fehlten mehrere Zähne, und anders als sein Oberkörper waren seine Beine nicht weiter gewachsen. Im Lauf der Jahre hatten sich an seinen Beinen die Muskeln kaum ausgebildet. So wirkte er auf die Leute immer mehr wie eine groteske Marionette. Dennoch blieb sein Charakter unverändert: Er erzählte weiterhin seine lustigen Geschichten, brachte die Kinder zum Lachen und heiterte Rafaela in den wenigen müßigen Momenten auf, die diese Frau sich gönnte, so als ob Gott – welcher auch immer – seine körperliche Beschränktheit durch eine unerschöpfliche Fantasie ausgeglichen hätte.
Miguel war immer auf dem Laufenden – die neuesten Ereignisse erfuhr er oftmals von den reichen Leuten, die sich den Luxus erlauben konnten, die großartigen Pferde ihres Gestüts zu erwerben. Also war er auch derjenige, der Hernando vom Exodus der reichen Morisken nach Frankreich berichtete.
Im Januar des Jahres 1608 hatte der Staatsrat unter dem Vorsitz des Herzogs von Lerma einstimmig beschlossen, dem König die Vertreibung aller Neuchristen aus Spanien vorzuschlagen. Die Nachricht machte bald die Runde, und die vermögenden Morisken begannen, ihren Besitz zu verkaufen und der drastischen Maßnahme der Ausweisung zuvorzukommen. In die Barbareskenstaaten durften sie sich nicht einschiffen, deshalb richteten alle ihre Blicke auf das benachbarte Königreich Frankreich – ein christliches Land, in das der Grenzübertritt gestattet war.
Auch Hernando erwog an dem Morgen ihres Gesprächs über den Exodus diese Möglichkeit, doch er verwarf sie schnell wieder.
»Mein Zuhause ist hier, Miguel«, bekannte er, und sein Gegenüber seufzte beruhigt. »Es wäre nicht das erste Mal, dass die Vertreibung gefordert wird«, fügte er hinzu. »Lass uns abwarten, ob die Anordnung überhaupt umgesetzt wird. Immerhin sind die Pläne vom Tisch, uns kastrieren, enthaupten, versklaven oder ins Meer werfen zu lassen. Mit unserer Vertreibung müssten die Adligen auf wichtige Einkünfte verzichten. Wer soll dann ihre Ländereien bewirtschaften? Die Christen haben keine Ahnung davon, und erst recht keine Lust dazu.«
König Philipp ging im Verlauf des Jahres 1608 nicht auf den Vorschlag seines Staatsrates ein. Außer Bischof Ribera und einigen anderen Radikalen, die den Tod oder die Versklavung aller Morisken befürworteten, raufte sich die Mehrheit des Klerus allein bei dem Gedanken die Haare, Tausende christliche Seelen könnten in die Länder der Mauren eilen und dort wieder vom Christentum abfallen. Gewiss, ihre Missionierungsversuche waren wieder und wieder gescheitert, dennoch – so das Argument des Komturs von León – schickte man Klosterangehörige und Geistliche sogar bis nach China, um den weit entfernten und unbekannten Völkern die Botschaft von Jesus Christus zu überbringen. Dann konnte man doch nicht aufgeben, die Bewohner der eigenen Reiche zu bekehren!
Neben dem Verbot, in muslimische Lande zu flüchten, galt die Vorschrift, kein Gold oder Silber aus Spanien abzuziehen – auch nicht in ein anderes christliches Königreich –, und so plädierte der Staatsrat dafür, reiche Morisken an der Grenze festzunehmen, womit der Exodus der wohlhabenden Morisken nach Frankreich vorläufig ein Ende nahm. Die Moriskengemeinden in allen spanischen Königreichen lebten in einer beunruhigenden Ungewissheit: Die große Mehrheit der einfachen Leute war sehr mit ihrem Heimatland verwurzelt, und die Vermögenden schmiedeten Pläne, wie sie die Anordnung des Königs umgehen könnten, wenn es denn so weit kommen sollte.
Hernando war die Unsicherheit seiner Glaubensbrüder nicht entgangen. Nach Muqla hatte Rafaela ihm noch einen weiteren prächtigen Sohn – Musa – und später eine Tochter – Salma – geschenkt, deren christliche Namen Luis und Ana waren, allerdings hatte keines dieser Kinder blaue Augen. Hernando musste inzwischen also eine große Familie versorgen, und die Tatsache, dass die reichen Morisken, die stets die sichersten Informationen über die
Weitere Kostenlose Bücher