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Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildefonso Falcones
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Umständen den eigentlichen Grund seines Besuchs erfahren dürfe. Also bewies der Jude beim Abendessen nicht nur formvollendete Manieren, sondern auch größte Zurückhaltung. Hinter seiner Höflichkeit verbarg sich jedoch vor allem das Interesse, seiner Auftraggeberin alle möglichen Informationen über Hernandos christliche Gattin zukommen lassen zu können. Wie war diese Frau? Liebte Hernando sie?
    Nur kurze Zeit später, als Hernando sich wieder mit der angefangenen Koranabschrift befasste und regelmäßig zum Beten in die Mezquita ging, um dort die Verbundenheit mit Fatima spüren zu können, brachte Rafaela ihr viertes Kind zur Welt. Der Junge wurde – im Beisein der ihnen unbekannten christlichen Paten, die der Pfarrer bestimmt hatte – auf den Namen Lázaro getauft. Anders als die übrigen Kinder seiner Familie hatte der Junge große hellblaue Augen. In seinem Gesicht prangte wieder das Stigma der Schändung eines unschuldigen Moriskenmädchens durch einen christlichen Geistlichen. Das konnte nur ein göttliches Zeichen sein.
    »Er wird Muqla heißen, zu Ehren des großen Kalligraphen«, verkündete Hernando seiner Frau und Miguel noch am Tag der Taufe, nachdem er dem Jungen mit warmem Wasser die Salbung abgewischt hatte. »Zu Hause müsst ihr ihn so nennen.«
    Rafaela sah zu Boden und nickte.
    »Aber ist das nicht zu gefährlich?«, fragte Miguel besorgt.
    »Wir leben nur gefährlich, wenn wir uns von Gott abwenden.«
    An dem Tag entschied er, seinen Kindern mehr aus dem Geschichtenschatz der Muslime zu erzählen. Er kündigte dem Hauslehrer und unterrichtete Juan und Rosa – die jetzt Amin und Laila hießen – von nun an selbst: den Koran, die Sunna, die Geschichte ihres Volkes, arabische Gedichte, die arabische Sprache, die Kalligraphie und Mathematik. Muqla lag immer in seiner Wiege neben ihnen, zum Einschlafen sang Hernando dem Säugling Suren vor. Amin besaß schon einen Wissensvorsprung, aber das sechsjährige Mädchen litt sehr unter den plötzlichen Veränderungen.
    »Meinst du nicht, Rosa sollte erst noch etwas älter werden?«, versuchte Rafaela sich mit ihrem Mann zu beraten.
    »Sie heißt jetzt Laila«, berichtigte Hernando sie. »Rafaela, die Frauen sind dazu aufgerufen, den wahren Glauben zu lehren und zu verbreiten. Es gibt sehr viel, was sie noch lernen muss. Wann sonst, wenn nicht jetzt? In dem Alter müssen sie unsere Gesetze kennen. Ich fürchte, ich habe schon zu viele Fehler begangen.«
    Rafaela gab sich mit der Antwort nicht zufrieden.
    »Gut, ich sehe ein, dass das alles nicht einfach ist«, stellte sie fest. »Aber du bringst unsere Familie in Gefahr. Wenn jemand davon erfährt … Ich mag gar nicht daran denken.«
    Hernando sagte eine Weile nichts und sah seine Frau eindringlich an.
    »Du hast es gewusst«, sagte er schließlich. »Miguel hat es dir vor unserer Heirat gesagt. Er hat dir gesagt, dass ich ein gläubiger Muslim bin.« Rafaela nickte. »Also hast du bei der Hochzeit gewusst, dass wir unsere Kinder nach den Traditionen beider Kulturen und in beiden Religionen erziehen werden. Ich verlange ja nicht von dir, dass du meinen Glauben teilst, aber meine Kinder …«
    »Unsere Kinder«, entgegnete sie schnell.
    Rafaela griff nicht mehr in den Unterricht der Kinder ein. Doch abends vor dem Schlafengehen betete sie wie immer mit ihnen, und Hernando ließ sie gewähren.
    Er nahm jeden Tag nach dem Unterricht die rituellen Waschungen vor und ging in die Mezquita, um vor dem Mihrab zu beten. Zuweilen stand er schweigend vor der Stelle, an der die heiligen Schriftzüge in Marmor gemeißelt sein mussten, manchmal hielt er sich etwas abseits, wenn er befürchtete, seine längere Anwesenheit an diesem Ort könne verdächtig wirken.
    »Fatima, ich bin hier!«, flüsterte er. »Was auch immer geschehen mag.«
    Die Mezquita erinnerte ihn immer wieder daran: Die Christen hatten sich endgültig ihrer bemächtigt. Nicht nur die neue Capilla Mayor, die Vierung und der Langhauschor der neuen Kathedrale waren fertiggestellt, sondern auch die Kuppel, die auf den massiven Strebepfeilern thronte, um der ganzen Welt die Großartigkeit dieses Gotteshauses zu beweisen. Selbst den Innenhof mit seinen Bäumen, in dem die Verbrecher Zuflucht vor der weltlichen Justiz fanden, hatte man renoviert. Wie immer hingen die Büßerhemden der Angeklagten der Inquisition an den Wänden der Bogengänge, aber den Hof hatte man inzwischen zu einer gepflegten, beschaulichen Gartenanlage umgestaltet, mit

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