Die Pferde vom Friesenhof 01 - Start mit Hindernissen
Zwangsversteigerungen wurden gefunden«, tauchte auf dem Bildschirm auf.
Klara und Lea zogen sich Bürostühle an den Schreibtisch. Frau Eichhorn blieb stehen, warf ab und zu einen Blick auf den Computer und packte nebenbei Schreibblocks, Locher und Kulis in einen Karton.
Dr. Eichhorn ließ die lange Liste der Zwangsversteigerungen herunterrollen: viele Reihenhäuser, einige Doppelhäuser, unzählige Eigentumswohnungen, zwei Resthöfe. Nichts für ihre Zwecke. Dann folgte ein Wohnhaus mit Pferdestall.
»Halt, Papa!«, rief Lea und zeigte auf den Monitor. Markus Eichhorn hatte das Angebot auch gerade entdeckt. Lea beugte sich vor. »Wohnhaus mit Stall, ist doch super! Hauptsache, nahe bei Hamburg. Wo steht das Haus? Oh Papa ...«
Lea schlug die Hände vors Gesicht. Durch die Finger spähte sie auf den Bildschirm, um sich zu vergewissern, dass sie richtig gelesen hatte. Denn da stand: Wester- büll. Kein Zweifel. Der Friesenhof von Otto Tönnies wurde unter »Zwangsversteigerungen« angeboten.
Leas Gedanken überschlugen sich. Was hatte Otto Tönnies gesagt? Sie erinnerte sich an fast jedes Wort: »Zwangsversteigerung - das wäre das Schlimmste. Bauunternehmer kaufen solche Höfe billig und reißen alles ab. Was aus den Pferden wird, ist denen egal.«
Magic. Lea wurde übel bei dem Gedanken an Magic. Mit Bauchschmerzen blieb sie noch eine Weile bei den anderen. Bedrückt ging sie schließlich ins Bett, ohne Abendessen. Hätten sie doch bloß nicht im Internet nach Zwangsversteigerungen gesucht. Die unselige Liste ging ihr nicht aus dem Sinn.
Wie der Zufall es wollte, saß auch in Westerbüll an diesem Abend jemand vor seinem Computer und sah sich im Internet die Zwangsversteigerungen an. Nein, nicht Otto Tönnies, der besaß gar keinen Computer. Es war Leif Harding, ein kauziger Junggeselle von zweiundsechzig Jahren, der in einer baufälligen Reetdach-Kate hinterm Deich wohnte.
»Der gleiche Schiet wie bei mir!«, murmelte der große, hagere Mann, als der Friesenhof von Otto Tönnies in der Liste auftauchte. »Jetzt brechen sie auch dem armen Otto das Genick.«
Der Tag war sonnig gewesen, doch jetzt am Abend zog es kalt durch die Fenster. Zornig humpelte Leif Harding zum Kühlschrank und setzte sich mit einer Flasche Schnaps wieder vor den Bildschirm. Im Vorbeigehen strich er seinem Rauhaardackel über den Kopf.
»Was meinst du, wer Otto den Hof wegschnappt, Kompass?«, fragte Leif Harding seinen Hund. Als Kompass nur den Kopf schief hielt, gab sich der dürre Mann die Antwort selbst: »Bestimmt ein Baulöwe, der vom Unglück anderer Leute lebt. So ein Typ ist nie im Leben an den Pferden interessiert. Die verkauft er an den nächsten Schlachter. Das überlebt Otto nicht. Tiere sind doch die einzigen Freunde im Leben.«
Kompass wedelte mit dem Schwanz, als hätte er jedes Wort verstanden. Der Hund legte seinen Kopf auf Hardings Füße und schloss zufrieden die Augen.
»Ohne dich wäre mein Leben sinnlos«, brummte der Mann. »Nur deinetwegen bin ich von der Flasche weggekommen.« Er goss sich einen Klaren ein. »Na ja, wenigstens fast.«
Ein seltsamer Kauz, dieser Leif Harding. Und ein gefährlicher dazu. Denn er nahm sich vor, den neuen Besitzern des Friesenhofs das Leben schwer zu machen. Ja, er wollte sie regelrecht aus Westerbüll vertreiben - obwohl er sie überhaupt nicht kannte ...
Was zur Hölle trieb diesen Leif Harding an? Was war die Ursache für seinen abgrundtiefen Hass? Der Grund lag einige Jahre zurück. Leif Harding war sein Leben lang zur See gefahren. Er liebte seinen Beruf, die Freiheit, die Stürme auf dem Meer. Doch eines Tages wurden ihm die Naturgewalten zum Verhängnis. Als Leif Harding nach Jahren der Seefahrt wieder in Westerbüll erschien, zog er ein Bein nach, ein Arm hing steif hinunter. Ein schrecklicher Unfall an Deck bei Windstärke zwölf. Der Seemann musste seinen Beruf aufgeben.
Anfangs lebte Harding im Bauernhaus seiner verstorbenen Eltern. Sein zweites Zuhause war jedoch der Wattenkrug, die Gastwirtschaft von Westerbüll. Die Dorfbewohner scharten sich um ihn, wenn er von seinen Abenteuern auf See erzählte, von Bombay, Rio und von den Inseln unter dem Winde. Auch wenn er kräftig Seemannsgarn einsponn - das schmückte die Erzählungen nur farbiger aus. Dass Leif Harding mehr trank, als er vertrug - so recht kümmerte es keinen.
Es kam, wie es kommen musste. Eines Tages war das Ersparte aufgebraucht. Der Seemann lieh sich Geld von der Bank, das er nicht zurückzahlen
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