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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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auftauchen, dann so.«
    Durch die Bücherreihen sah man auf der Straße draußen Leute vorbeigehen. Ich ließ den Blick müßig über ihre Gesichter gleiten.
    »Ich fliege übermorgen zurück nach Rio«, sagte Gabriella zögernd. »Hör zu, Fitz, ich habe über dich nachgedacht, über das Foto auf deinem Nachttisch... Ich weiß, du wirst sie nicht vergessen, John, aber du musst nach vorn schauen. Warte nicht, bis es zu spät ist.«
     
    Am Nachmittag fuhr ich nach Revesby. Ich brach im bleichen Licht des Winternachmittags auf und schlängelte mich vorsichtig aus Lincoln hinaus, noch unschlüssig, was ich tun würde. Einen Moment lang dachte ich daran, nach Ainsby zu fahren, aber Ainsby hatte mit der jüngeren Geschichte des Vogels zu tun, und die hatte Anderson zu einem bloßen Gegenstand forensischer Analyse gemacht - eine Art gnadenloser Rasterfahndung, die entweder zum Erfolg führen oder versagen würde. Ich war bereit, ihm das Feld zu überlassen. Mich interessierte jetzt die fernere Vergangenheit des Vogels, die Geschichte im Hintergrund, auf die ich einen kurzen Blick geworfen hatte - die Geschichte, auf die auch Hans Michaels einen Blick geworfen hatte, als er seine Zeichnung der Frau ohne Namen anfertigte. Was für eine Geschichte war das? Kam der Ulieta-Vogel darin vor? Diese Dinge waren interessant auf eine Art, wie es Andersons Recherchen nie sein würden, und als die Abzweigung nach Ainsby in Sicht kam, ließ ich sie links liegen und fuhr südwärts weiter, nach Revesby.
    Ich musste wieder an meinen Großvater denken. Als junger Naturwissenschaftler hatte ich unbekümmert Kritik an seinen altmodischen Ansichten und seiner dürftigen Planung geübt. Seinem Mangel an wissenschaftlicher Präzision. Daran, wie er die Familie seinem Ehrgeiz opferte. Ich wusste aber auch, dass ich ihm in gewisser Hinsicht ähnlich war. Es hatte eine Zeit in meinem Leben gegeben, da hatte ich mich von Sammlung zu Sammlung um die Welt gearbeitet, hatte Geld vergeudet, das ich nicht zurückzahlen konnte, und Freundschaften vertan, die etwas Besseres verdient hatten; eine Zeit, in der das einzig Reale für mich der Traum von der großen Entdeckung gewesen war, die mein Leben verändern würde. Heute war diese Phase in meinen Augen Wahnsinn, und ich fragte mich, ob mein Großvater es jemals genauso gesehen hatte. Hatte er dort im Dschungel irgendwann einmal innegehalten und sich geschworen, dass die Zukunft anders aussehen würde? Wenn ja, dann hatte er sich nicht daran gehalten und weitergemacht wie zuvor.
    An seiner Expedition nahmen nur wenige teil: ein junger Naturforscher namens Barnes, ein erfahrener Führer und vier Einheimische als Träger und Köche. Man hatte ihnen unvorstellbare Reichtümer versprochen für den Fall, dass sie im afrikanischen Urwald auf einen Pfau stießen. Sie reisten mit einem Fluss-Schiff nach Matadi und von dort mit dem Zug nach Stanleyville, dann ging es zu Fuß weiter. Acht Wochen marschierten sie nach Norden und bogen dann - möglicherweise ein Zeichen von Unschlüssigkeit - plötzlich nach Nordosten ab.
    Wer den Regenwald des Kongo nicht kennt, kann sich die Wirkung von Hitze und Feuchtigkeit kaum vorstellen. Es ist ein erbarmungsloses Land, und mein Großvater tat nichts, um sein Erbarmen zu erlangen. Er stürzte sich Hals über Kopf hinein, als wäre bloße Willenskraft alles, was er brauchte. Nach vier Monaten bekam Barnes Fieber, und schon wenige Tage später war er zu schwach, um noch weiterzulaufen. Nach nur hundertzwanzig Tagen endeten die Pläne, die mein Großvater über siebzehn Jahre gehegt hatte, im Chaos. Die Gruppe teilte sich auf, um Barnes zurücktragen zu können. Der Führer und drei der vier Träger sollen den Kranken begleitet haben. Nur einer blieb bei meinem Großvater, der mittlerweile kaum noch etwas aß und von Hydrochlorid und Chinin lebte. Die beiden Männer schulterten das nunmehr dreifache Gewicht des Gepäcks und machten sich, jetzt wieder nordwärts, auf den Weg, ein Marsch, der sie in den wechselnden Modeströmungen der Zeit berühmt machen sollte. Keiner von ihnen konnte wissen, dass schon drei Monate später die erste offizielle Identifizierung eines afrikanischen Pfaus erfolgen sollte.
     
    Ich fuhr Richtung Süden nach Revesby, wo die sanft ansteigenden Hügel der Wolds in die Lincolnshire Fens übergehen. Es war nach drei, als ich in dem Dorf ankam, und die Sonne stand bereits so tief, dass die Kirche einen langen Schatten auf die Stelle warf, an der ich

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