Die Pflanzenmalerin
Alle vermuten es. Sind Sie sich dessen bewusst?«
Sie zeichnete weiter, mit glühenden Wangen, den Blick unverwandt geradeaus gerichtet.
»Ach, noch etwas, Miss Burnett.« Maddox fasste in seine Jacke. »Ein Brief. Für Sie. Heute Morgen gekommen. Von Mr. Banks. Er handelt zweifellos von Pflanzen.«
Er warf den Brief vor ihr ins Gras, und sie ließ ihn dort liegen, bis er hinter der Biegung des Berges verschwunden war. Schließlich hob sie den Umschlag auf und öffnete ihn.
Nachdem sie den Brief gelesen hatte, blieb sie lange Zeit sitzen, innerlich ganz ruhig. Sie würde, so beschloss sie, ihre Zeichnung vor Einbruch der Dämmerung fertig stellen. Am nächsten Tag würde sie sich um eine Passage nach England kümmern.
15
Entdeckungen
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich nach wie vor entschlossen, Lincoln zu verlassen. Nach Andersons Worten vom Abend zuvor verspürte ich absolut keine Lust, noch länger hier herumzuhocken und Zeuge seines Triumphes zu werden. Zwar konnte ihm immer noch etwas in die Quere kommen, aber das nützte mir wenig. Der Stamford-Brief war für uns alle die größte Chance gewesen, den Vogel zu finden. Wenn auch er eine Sackgasse war, standen wir wieder da, wo wir angefangen hatten. Der Vogel würde in seinem Versteck bleiben, vorausgesetzt, es gab ihn überhaupt noch.
Ich zog mich an und machte mich auf die Suche nach Katya. Ich wusste nicht, wie sie reagieren würde, wenn ich ihr sagte, dass ich nach London zurückwollte, aber wahrscheinlich würde sie enttäuscht sein. Als sie den Namenstausch auf dem Stamford-Brief entdeckte, war sie vor Aufregung ganz aus dem Häuschen gewesen, und offenbar hatte sie sich nicht einmal durch Andersons Optimismus entmutigen lassen.
Doch es war nicht so einfach, sie zu finden. Die Frau an der Rezeption sagte, sie sei früh weggegangen und habe keine Nachricht hinterlassen. Ich versuchte es im Grafschaftsarchiv, in der Stadtbücherei und in einigen der Cafés, in denen wir gesessen hatten, aber vergeblich. Ich wusste nicht mehr weiter. Ich wollte so schnell wie möglich aus Lincoln weg, konnte aber nicht ohne sie fahren und hatte keine Ahnung, wo sie steckte. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, schlenderte ich durch die Straßen, sah mir die Gesichter der Leute an und schaute in Läden.
Am Ende fand ich nicht Katya, sondern Gabriella. Ich erspähte sie durch die Schaufensterscheibe einer alten Buchhandlung, und nach kurzem Zögern ging ich hinein. Sie lehnte anmutig an einem Regal in der antiquarischen Abteilung und blätterte in einer sehr alten Ausgabe von Gerards Herbarium. Als ich zu ihr trat, lächelte sie, doch aus irgendeinem Grund hatte sich eine Distanz zwischen uns eingeschlichen, die bei unserer Begegnung in London noch nicht da gewesen war.
»Ich dachte, du bist unterwegs, den Vogel suchen«, sagte ich und merkte, dass ich mich leicht verbittert anhörte, wie ein armer Versager, der vorgibt, keiner zu sein.
»Noch nicht.« Vorsichtig stellte sie das Buch ins Regal zurück. »Ich treffe mich am Mittag mit Karl. Dann schauen wir uns die Fotos an.«
»Du musst dich ja prächtig fühlen. Selbst wenn es keine Bilder gibt - an Ted Staest kommst du, so wie’s aussieht, auf jeden Fall an.«
Wenn etwas an meinem Ton nicht stimmte, so ließ sie es sich nicht anmerken.
»Hoffentlich.« Sie schwieg einen Moment. »Ich wollte dich etwas fragen, Fitz. Gestern Abend... Verstehst du jetzt, was ich meine? Tief drinnen ist Karl wie du. Siehst du das nicht? Er liebt das Suchen. Die Technik des Suchens. Die Detektivarbeit. Irgendwo weiß er, dass diese Bilder der totale Flop sein können. Vielleicht haben sie überhaupt nie existiert. Oder sie sind nicht von Roitelet. Vielleicht sind sie auch beschädigt oder taugen einfach nichts. Aber sie könnten auch das sein, was wir uns erhoffen, und die Vorstellung, dass sie irgendwo da draußen warten, treibt Karl an.«
Das und eine Million Dollar, dachte ich, sprach es aber nicht aus.
»Also, was meinst du?«, fuhr sie fort. »Wird er den Vogel finden?«
»Wenn er bei der Auktion dabei war, wird er ihn wohl bald in Händen halten.«
»Und wenn er nicht dabei war, meinst du, dann wird ihn gar niemand aufspüren?«
Ich sah ihr in die Augen. »Wenn er existiert, wird ihn schon jemand ausfindig machen. Irgendwann. Aber keiner von uns. Solche Funde kommen vor, wenn jemand sich für die Sachen auf seinem Dachboden interessiert und sie zu einem Fachmann bringt. Sollte der Ulieta-Vogel je wieder
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