Die Pflanzenmalerin
Unter den wenigen armseligen Gegenständen, die die Franzosen bargen, war auch das Tagebuch meines Großvaters. Seine Aufzeichnungen strotzten von Entschlossenheit, während Sinn und Logik zugleich immer mehr daraus schwanden. Die letzten Einträge waren nahezu unverständlich und kaum noch lesbar. Sie enthielten keine Nachricht für seine Frau oder seinen Sohn, meinen Vater, ein Kind, von dessen Existenz er möglicherweise gar nichts wusste.
Die Leichen wurden nie gefunden. Als die Nachricht vom Scheitern der Expedition nach England gelangte, wurde ein kleiner Gedenkgottesdienst abgehalten. Die Times pries Mut und Ausdauer meines Großvaters. Meine Großmutter heiratete nicht wieder.
Im Gegensatz zu den beiden Männern, die im Urwald ihr Leben verloren, würde es Anderson prächtig ergehen. Ich beobachtete, wie sich Gabriella neben ihm auf dem Sofa niederließ. Sie saßen wie im Mecklenburg so dicht nebeneinander, dass sie sich fast berührten. Doch diesmal störte es mich nicht. Ich wartete in aller Ruhe darauf, dass jemand das Wort ergriff.
»Nun, Mr. Fitzgerald«, begann Potts schließlich, »wie sieht’s aus? Verkaufen Sie den Vogel jetzt und die Bilder, falls sie da sind, später? Ich werde nicht blind bieten.«
»Die Bilder interessieren mich nicht. Mir geht es, wie gesagt, um den Vogel. Ich kann ihn jedem von Ihnen verkaufen, aber zu folgenden Bedingungen: Sobald wir uns auf einen Preis geeinigt haben, bringen wir ihn ins Natural History Museum, und dort wird die Vitrine geöffnet, unter den entsprechenden Umständen. Der Vogel selbst wird dem Museum vermacht, die Vitrine mit allem, was darin ist, können Sie behalten. Sollten die Bilder tatsächlich da sein, geht ein Prozent der Summe, die Sie dafür bekommen, für den Unterhalt des Vogels an das Museum.«
Potts schnaubte. »Soll das ein Witz sein, Mr. Fitzgerald? So kann man doch keine Geschäfte machen. Vielleicht sind ja gar keine Bilder da! Oder Sie haben den Kasten schon geöffnet und sie herausgenommen.«
Ich sah ihn ruhig an. »Das Risiko müssen Sie schon eingehen.«
»Sie träumen doch, wenn Sie glauben, irgendjemand würde sich auf so einen Handel einlassen. Die Sache stinkt.«
Doch Anderson sah Potts lächelnd an.
»Ach, ich weiß nicht«, sagte er nachdenklich. »Mir gefällt Ihr Vorschlag, Mr. Fitzgerald. Ich finde es richtig, dass Sie den Vogel schützen wollen. Also, sagen wir so: Ich verspreche Ihnen, dass ich dem Natural History Museum eine Spende zukommen lasse, die sämtliche Kosten für die Restaurierung des Vogels und seine Präsentation unter angemessenen Bedingungen deckt, plus fünfzigtausend Dollar für die Erhaltung anderer seltener Exemplare. Kein kanadischer Millionär, keine Labors, keine DNA-Experimente. Dafür bekomme ich die Bilder, wenn sie da sind. Das Risiko liegt ganz bei mir.«
Ich nickte und wandte mich Potts zu.
»Nun mal ehrlich: Das ist doch alles Quatsch«, sagte er, nahm seine Brille ab und rieb sie an seiner Weste. So harmlos die Geste auch war - ich merkte, dass er immer nervöser wurde. »Hören Sie, Mr. Fitzgerald, folgendes Angebot: Sie öffnen die Vitrine. Wenn die Bilder da sind, sorge ich dafür, dass sie glatt und reibungslos in die Staaten gelangen. Ich bekomme einen Anteil von zehn Prozent, aber ich kann Ihnen versichern, Sie werden verdammt viel mehr kriegen, als wenn sie die Bilder zu Sotheby’s bringen. Ich rede von einem Privatverkauf, Mr. Fitzgerald. Diskret, steuerfrei. Keine Fragen, keine Bürokratie, keine Preisaufschläge. Und Sie können den Vogel behalten. Denken Sie darüber nach, Mr. Fitzgerald. Neunzig Prozent von einer Million Dollar - davon kann man doch sehr schön Vögel konservieren. Und was bietet er Ihnen? Keinen Cent.«
»Mein Angebot liegt auf dem Tisch, Mr. Fitzgerald«, sagte Anderson gelassen.
Ich wandte mich wieder an Potts. »Er bietet eine Garantie für die Zukunft des Vogels, Bilder hin oder her. Das müssten Sie auch tun.«
»Herr des Himmels!« Er stand auf, jetzt sichtlich erregt. »Das ist doch Wahnsinn. Geben Sie mir zehn Minuten. Ich muss nachdenken.«
Wir schauten ihm nach, wie er hinausmarschierte, zu rund und gemütlich, als dass man seinen Zorn so ganz ernst nehmen konnte. Als er verschwunden war, lachte Anderson leise.
»Ich glaube, ich habe ihn gerade überboten«, sagte er lächelnd.
Ich sah zu Katya hinüber; sie schaute mich mit hochgezogenen Brauen fragend an. Ich nickte ihr zu und wandte mich wieder an Anderson.
»Trinken wir noch
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