Die Pflanzenmalerin
handeln.‹ Lindum ist der römische Name für Lincoln«, erklärte er und blickte in die, wie er annahm, unwissende Runde. »Deswegen war der Brief an Martha Stamford so sensationell. Weil er zu dem passte, was wir bereits wussten, nämlich dass der Vogel irgendwo in Lincolnshire gelandet war.«
»Sie haben also das Buch zurückgestellt, das Regal abgestaubt, damit ich nicht wusste, in welchem Buch Sie nachgeschlagen hatten, und mich weiter in meinem Unwissen schwelgen lassen?«
»Mehr oder weniger. Ich dachte mir zwar, dass Sie den Lincoln-Verweis bald selbst finden würden, aber ich wollte Sie nicht unbedingt mit der Nase draufzustoßen.« Er wandte sich wieder an Katya. »Ich muss sagen, ich war sehr beeindruckt, wie Sie darauf gekommen sind, zumal Sie Fosdyke offenbar nicht gelesen haben. Ihr Freund hier hätte Ihnen den ganzen Aufwand natürlich ersparen können, wenn er sich die Mühe gemacht hätte, in eine anständige Präsenzbibliothek zu gehen. Aber sagen Sie, Mr. Fitzgerald, was wollten Sie noch wissen?«
Ich zog das zerknitterte Bild von Miss B. aus der Tasche, das Potts aus Andersons Zimmer entwendet hatte.
»Wissen Sie, wer das ist?«, fragte ich.
Anderson würdigte die Kopie kaum eines Blickes. »Joseph Banks’ Geliebte. Seine erste. Später hatte er natürlich noch andere.«
»Wieso hatten Sie das Bild in Ihrem Zimmer?«
»Ich habe alles Mögliche bei meinen Unterlagen, und die hatte ich alle mitgenommen. Spielt das eine Rolle?«
»Sie waren nicht der Meinung, dass diese Geliebte in irgendeiner Weise wichtig sein könnte?«
»Bei der Suche nach dem Vogel?« Er schnaubte ein wenig ungeduldig. »Nein, natürlich nicht. Ich hatte jemanden über Joseph Banks recherchieren lassen und wusste alles über die Frau. Sie war interessant, weil sie Fabricius kannte, und Fabricius wusste etwas über den Vogel. Aber das ist eine Sackgasse. Niemand weiß, wer sie überhaupt war.«
Ich sah zu Katya hinüber.
»Nein, und man wird es wohl auch nie wissen.« Ehe Anderson antworten konnte, trat eine Frau von der Rezeption an unseren Tisch.
»Der Herr war da und ist wieder gegangen, Sir«, sagte sie zu mir. »Er hat das Paket auf Ihr Zimmer gebracht, wie Sie es wünschten.«
»Vielen Dank.« Ich wandte mich lächelnd an die anderen. »Was meinen Sie? Sollen wir hinaufgehen und die Ware in Augenschein nehmen?«
Ich hatte eine kleine Lampe in meinem Zimmer angelassen, und als wir einer nach dem anderen eintraten, war der Raum in ein schwaches rötliches Licht getaucht. Es war ein kleines Zimmer, und das Doppelbett, auf das Katya sich hatte fallen lassen, füllte es fast ganz aus. Sonst gab es nur noch einen kleinen Schreibtisch und einen kleinen Kleiderschrank, ein paar Stühle und gerade so viel Platz, dass wir zu fünft darin stehen konnten.
Bert Fox hatte das Paket mitten aufs Bett gestellt, und wir verteilten uns instinktiv darum herum, Katya links von mir, Anderson rechts, Gabriella neben ihm und Potts, der uns beobachtete, ein Stück weiter.
Das Paket war etwa einen halben Meter hoch und ungefähr ebenso breit. Es war unter einer Schicht Luftpolsterfolie in Packpapier gewickelt und kreuz und quer mit robustem rosa Klebeband zugeklebt. Niemand sprach, aber Anderson seufzte leise. Es war ein Seufzer, der mir etwas sagte. Bis dahin hatte ich ihn für einen absoluten Profi gehalten, einen Mann, der allein um des Profits willen nach seltenen Dingen suchte. Jetzt aber fragte ich mich, ob Gabriella nicht doch Recht gehabt hatte. Vielleicht steckte hinter all dem doch einer, der die Suche selbst liebte. Ich merkte, dass ich ihn inzwischen ein bisschen mehr mochte.
»Das könnten Sie gebrauchen.« Potts hatte ein Taschenmesser hervorgeholt. »Fangen Sie an. Wir warten.«
Ich trat vor, mit einem Mal voller Zweifel, was das ganze Unternehmen anbelangte. Aber mir blieb keine Wahl mehr: Ich musste ihnen zeigen, was in dem Paket war. Langsam und vorsichtig schnitt ich das Klebeband und dann die Folie auf. Als das Packpapier zum Vorschein kam, wurde ich plötzlich ungeduldig und riss es mit zwei raschen Griffen weg.
Der Kasten war aus dunklem altem Holz, und an den Seiten waren Glasscheiben eingelassen. Eine hatte einen Sprung, eine andere so viele winzige Risse, dass sie fast undurchsichtig war. Drinnen saß, primitiv auf einem Aststück befestigt, ein kleiner brauner Vogel. Sein Kopf war mit einem gleichsam überraschten Ausdruck leicht zu uns geneigt. Ein sehr gewöhnlicher Vogel, ganz ähnlich wie eine
Weitere Kostenlose Bücher