Die Pflanzenmalerin
verzog den Mund. »So hab ich das noch gar nicht gesehen. Aber was hat das mit dem Staub in Ihren Regalen zu tun?«
Und so erzählte ich ihr von meinem Treffen mit Anderson und seinem Plan, die Überreste des seltensten Vogels der Welt ausfindig zu machen. Es wurde wärmer im Zimmer, während wir uns unterhielten. Katya nahm hin und wieder einen Schluck von ihrem Drink und zog dabei jedes Mal ein wenig die Nase kraus. Der verschwundene Vogel, der einzige bekannte Vertreter einer untergegangenen Spezies, schien sie zu faszinieren.
»Ich kann verstehen, dass er einiges wert ist«, sagte sie und nickte, als ich ihr die Motive der DNS-Sammler zu erklären versuchte. »Aber fünfzigtausend Dollar sind schon eine gigantische Summe für einen toten Vogel.«
Ich zuckte die Schultern. »Kommt drauf an, wie man’s sieht. Ein Riesenalk wäre ein Vermögen wert, und es existieren ungefähr zwanzig davon. Und wenn man einen ausgestopften Dodo aufspüren würde, könnte man sich für den Rest seines Lebens zur Ruhe setzen. Im Ernst. Es gibt keinen präparierten Dodobalg, nur Knochen und Federn. Etwas wirklich Einmaliges hat vielleicht doch seinen Wert.«
Katya schien nicht überzeugt zu sein.
»Es hat auch noch eine andere Art von Wert«, fuhr ich fort. »Damit eine Spezies offiziell existiert, muss es etwas geben, was man einen Typus nennt - ein Musterexemplar, das als typisch für die Spezies gilt. Ohne ein solches Exemplar kein Typus, und ohne Typus erkennt die Wissenschaft nicht an, dass etwas wirklich existiert. Streng wissenschaftlich gesehen, ist der Ulieta-Vogel also nicht einmal ausgestorben. Er hat nie existiert. Es gibt keine physischen Beweise, keine Knochen, keine Federn, nichts. Nur eine Zeichnung, ein paar Textzeilen und einen einzelnen verschwundenen Vogel.«
Katya nickte langsam. »Aber was haben Ihre Bücher damit zu tun?«
Ich sah zu den Regalen hinüber.
»Keine Ahnung. Keines davon ist irgendetwas Besonderes. Und außerdem: Wenn es irgendwo einen Hinweis gäbe, hätte derjenige ihn dann nicht mitgenommen?«
Katya drehte sich um und musterte nachdenklich die Bücherwand. »Vielleicht hat er das ja getan. Vielleicht ist irgendwo eine Seite herausgerissen. Sie sollten mal nachsehen.«
»Hm, tausend Bücher à dreihundert Seiten...«
Sie wandte sich wieder mir zu, und bei der erschreckenden Vorstellung, alle durchzublättern, mussten wir beide lachen.
»Vielleicht ein andermal«, sagte sie.
»Vielleicht auch nie.«
Wir blieben sitzen und tranken, bis die Flasche zu zwei Dritteln leer war. Im Laufe unserer Unterhaltung begann ich, Katya mit anderen Augen zu sehen. Ihr Gesicht hellte sich auf, wenn sie sprach, und ihre Lebendigkeit wirkte ansteckend. Das Gespräch verlagerte sich von den Vögeln auf die Geschichte, und wir plauderten munter drauflos - darüber, wie Vergangenes festgehalten wird, wie die Zeit uns Dinge nimmt, wenn wir nicht für ihre Erhaltung kämpfen. Wir hatten da eine Art gemeinsame Basis.
»Mein Vater ist Geschichtsprofessor an der Universität Stockholm«, sagte sie. »Früher war er durch und durch Historiker, einer, der sich aufgemacht hat und den Dingen auf den Grund gegangen ist. Als meine Mutter und er sich kennen gelernt haben, war er auf dem besten Weg, der brillanteste Geschichtswissenschaftler Schwedens zu werden. Heute sitzt er nur noch in Restaurants und Fernsehstudios und schreibt die Bücher, die die Verlage von ihm haben wollen. Er ist zu sehr damit beschäftigt, Interviews zu geben, um sich noch groß Gedanken zu machen.« Sie zuckte die Schultern. »Wir kommen nicht miteinander klar. Darum bin ich nach England gekommen. Ich will meinen eigenen Weg gehen.«
»Rufst du deshalb deine Mutter nicht an - wir können uns doch duzen, oder?«
Sie nickte, dann runzelte sie leicht die Stirn und schwieg einen Moment. »Mein Vater hat sie verlassen, als ich ein Teenager war. Sie hat gar nicht erst um ihn gekämpft. Auch nicht meinetwegen. Hat ihn einfach gehen lassen.«
Das war eine zu harte Begründung, als dass man dagegen hätte argumentieren können. Sie fuhr mit dem Finger über einen Buchrücken. Wir hatten lange geredet, das machte das Fragen einfacher. Jetzt war sie an der Reihe.
»Warum hast du das Geld, das Anderson dir geboten hat, nicht genommen?«
»Wenn es mir um Geld ginge, täte ich nicht das, was ich tue. Außerdem hatte dieser Anderson etwas an sich... Sein Anzug hat mir nicht gefallen.«
Katya prustete ihren Wodka heraus, und wir lachten noch immer,
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