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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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sollte er wieder an sie denken. Jetzt aber sah er nur ein Gesicht, das ihn kühl und nachdenklich musterte.
    »Im Slipper Wood wächst sie nur an diesen zwölf Bäumen«, erklärte sie. »Aber Sie müssen sie auch anderswo gesehen haben. In Ihrem Park werden Sie fast an jedem Baum Spuren davon finden.«
    Der Naturforscher in ihm forderte sein Recht, und statt einer Antwort schüttelte er den Kopf.
    »Nicht, dass ich wüsste. Oder ich habe nicht darauf geachtet. Es heißt, sie hilft bei Lungenkrankheiten - glauben Sie daran?«
    Er begann, sich unbehaglich zu fühlen, als er so vor ihr stand, wie ein Eindringling. Sie aber sah mit ruhigen, klaren Augen, die ihn weder willkommen hießen noch den Wunsch zu gehen in ihm weckten, zu ihm auf.
    »Nein, das ist sicher falsch«, sagte sie, und ihr Blick wanderte für einen Moment zu den umstehenden Bäumen. »Man nennt sie so wegen ihres Aussehens, ihrer Ähnlichkeit mit Lungengewebe. Aber das dürfte Zufall sein. Ich kann kaum glauben, dass die Vorsehung es für nötig befunden hat, ihre Wirkungen so wörtlich zu illustrieren.«
    »Ich muss gestehen, ich bin überrascht. Und hocherfreut. Ich ahnte ja nicht, dass Revesby eine Kollegin beherbergt, jemanden, der sich wie ich mit Naturphilosophie befasst.«
    Es war ihm peinlich, so vor ihr aufzuragen, doch da er nicht unaufgefordert Platz nehmen konnte, ging er in die Hocke, als wollte er etwas auf dem Boden studieren. Dass er sich damit eine gewisse Ungezwungenheit anmaßte, war ihm bewusst.
    Sogleich erhob sie sich und schickte sich zum Gehen an.
    »Das bin ich wohl kaum, Mr. Banks. Ich besitze keine Bücher, die ich studieren könnte, und mein Lehrer vermag mich nicht länger zu unterweisen.«
    »Ihr Lehrer?«
    »Mein Vater, Sir.«
    »Natürlich, verzeihen Sie. Ich wollte nicht neugierig sein.«
    »Ihre Anwesenheit hier legt das Gegenteil nahe.«
    Es klang nicht kühl, aber doch distanziert.
    »Verzeihen Sie, Madam. Ich war mir nicht bewusst, dass Ihnen meine Anwesenheit unangenehm ist.« Bei diesen Worten sah sie die Sonne aus seinem Gesicht schwinden. Sie hatte sich sicher gefühlt und fühlte sich auch jetzt noch sicher, aber sein Anblick ließ sie innehalten. Sie hätte sich umdrehen und ins Dorf zurückgehen können, vorbei an den niedrigen Häusern mit den abgewandten Blicken. Doch sie hatte ihn nicht kränken, hatte nur ihren Rückzug sichern wollen. Der Sommermorgen ringsum war noch immer lieblich. Und so wandte sie sich, obgleich sie die Gefahr zu ahnen begann, wieder ihm zu und sah ihn an.
    »Ich bin Gesellschaft nicht gewöhnt, Mr. Banks. Ich kenne den Wald hier, seit ich ein Kind war, und man hat mich gelehrt, auf alles zu achten, was ich um mich herum sehe. Es wäre mir eine große Freude, über diese Dinge zu sprechen. Doch heute muss ich meine Zeichnung fertig stellen. Bald ist die Blütezeit dieser Pflanze um, und die Gelegenheit wäre dahin.«
    Er zögerte, besorgt, die schroffere ihrer Antworten könnte die eigentliche gewesen sein.
    »Gewiss«, erwiderte er, »es war selbstsüchtig von mir, Sie bei der Arbeit zu stören. Bitte nehmen Sie doch wieder Platz.« Er wies auf den herabgefallenen Ast. »Nur wenige hier teilen meine Interessen.«
    Sie setzte sich wieder und achtete darauf, dass ihr Rock schicklich bis auf den Boden fiel. Als er zu sprechen fortfuhr, hatte sie ihr Buch wieder aufgeschlagen und blätterte zu der Seite mit der unvollendeten Zeichnung.
    »Ich sage Ihnen Lebewohl und überlasse Sie Ihrer Arbeit«, begann er.
    Doch seine Worte verklangen, ohne dass er Anstalten machte zu gehen. Stattdessen hörte sie ihn näher kommen. Als sie aufschaute, sah sie seinen Blick auf die Zeichnung in ihrer Hand geheftet, und seine Miene ließ ihr Herz höher schlagen.
     
    Sie blieb lange im Wald an diesem Tag - bis das Licht der Abenddämmerung wich. Dann ging sie entlang der Felder langsam nach Hause. Über den Bäumen zeigten sich schon die Sterne. Das Haus lag am Dorfrand. Dort angelangt, hielt sie in der Tür einen Moment lang inne und zog sie dann leise zu. An einem solchen Abend, das wusste sie, war ihre Tür die einzige im ganzen Dorf, die vor der Nachtluft verschlossen blieb. Auch die Läden waren geschlossen und hielten die Hitze des Tages gefangen. Eine Kerze brannte im Dunkeln. Es war erstickend heiß. Sie legte ihr Zeichenbuch auf den leeren Tisch und lauschte. Oben lag ihr Vater im Sterben.
    Fast eine Minute stand sie so im Flur. Sie hörte Martha, die Pflegerin, leise flüstern, während sie

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