Die Pflanzenmalerin
sie den Blick auf die Bäume. Sie würde den Pfad nicht verlassen; die beiden anderen würden es tun, das wusste sie. Einen Zusammenstoß würde es nicht geben, denn einen solchen konnten sie nicht ignorieren. Sie hörte Röcke rascheln, als die zwei Frauen zur Seite traten und auf einen Gegenstand in der Ferne wiesen. Da der Weg nun frei war, ging sie ungehindert weiter, wie sie es schon so oft getan hatte, doch als sie bei den beiden angelangt war, ließ sie den Blick von den Bäumen zu ihren Gesichtern zucken. Miss Taylor hatte das Kinn hochgereckt und den Kopf abgewandt, auf Miss Banks’ Zügen aber malte sich zu ihrer Überraschung das gleiche Erstaunen wie auf ihren eigenen. Einen Moment lang begegneten sich ihre Blicke, doch ehe eine von ihnen reagieren konnte, war sie schon vorbei, und alle drei setzten ihren Weg schweigend fort.
Es war das erste Mal seit der Nachricht von Banks’ Verlobung, dass sie auf jemanden aus Revesby Abbey getroffen war. Nur schwer vermochte sie sich ihn im Kreise seiner Familie oder auch nur im Haus vorzustellen, inmitten von feinem Porzellan und dem Trubel eines Salons. Als sie weiterging, wünschte sie, ihre Blicke hätten sich nicht gekreuzt.
Keine der beiden anderen Frauen verlor ein Wort über die Begegnung, während sie weiter dem Dorf zuschritten, doch Miss Banks musterte das Gesicht der Freundin, wie um deren Gedanken zu erraten. Nachdem sie Revesby durchquert hatten, kamen sie an das Haus mit den geschlossenen Läden. Das Herbstlicht hob seine Armseligkeit noch hervor. Gemeinsam ließen sie den Anblick auf sich wirken - sie mussten nicht befürchten, beobachtet zu werden -, dann rümpfte Miss Taylor die Nase.
»Es wird ein Segen sein, wenn Mr. Ponsonby das Haus an jemand anderen vermieten kann.«
Die Ältere sah sie erstaunt an.
»Mr. Ponsonby? Ich wusste gar nicht, dass es ihm gehört.«
»Nein?« Diesem Umstand schien Miss Taylor schleunigst abhelfen zu wollen. »Es fällt an ihn, wegen der Schulden, die der Mann bei ihm hat. Seit dem Vorfall vor einigen Monaten ist kein Geld mehr da, um die Zinsen zu bezahlen, und inzwischen ist das Haus mehr oder weniger in seinen Besitz übergegangen. Nur seiner Freundlichkeit ist es zu verdanken, dass die Familie bleiben kann.«
»Seiner Freundlichkeit? Welchen Grund hätte er dazu? Der Mann hat ihn an seinem eigenen Esstisch attackiert.«
»Mama meint, es sei ein Akt wahrer christlicher Nächstenliebe, denn er trachtet nicht nach Anerkennung. Nur mein Vater und Mr. Burrows wissen davon.«
Sophia schien in Gedanken versunken zu sein.
»Und dennoch: Ist es denn recht, dass eine allein stehende junge Frau so tief in seiner Schuld stehen wird, wenn ihr Vater stirbt? Ich an ihrer Stelle wäre über eine solche Situation wenig erbaut.«
Miss Taylor zog die Brauen hoch. »Ihre Familie ist nicht gerade für ihre Prinzipien bekannt, und sie scheint vollauf zufrieden zu sein mit diesem Arrangement. Man wird ja sehen - Papa meint, sehr lange wird ihr Vater nicht mehr leben. Aber reden wir nicht von solch hässlichen Dingen. Die Hecken sind so hübsch um diese Jahreszeit, findest du nicht auch, Sophia?«
Und so wanderten sie durch die Felder, die eine munter plaudernd, die andere ungewöhnlich schweigsam.
Nach jenem Tag wurde es rasch Winter. Dr. Taylor kam seltener als früher, aber er kam an einem Februarmorgen, als das Dorf noch weiß von Raureif und der Weg zu ihrer Haustür vereist war. Die Kälte veränderte das Aussehen alltäglicher Dinge, und der Arzt entdeckte Spuren von Vogelfüßen auf dem Weg und ein halb zerrissenes gefrorenes Spinnennetz an einem Fenster.
Drinnen fand er das Haus kalt vor, das Feuer in den Kaminen noch kaum entzündet. Im Flur, wo er Hut und Handschuhe ablegte, hing sein Atem in weißen Wölkchen in der Luft. Nur das Krankenzimmer war wirklich warm, und die Asche verriet, dass das Feuer die Nacht hindurch in Gang gehalten worden war. Der Patient hatte die Prognosen des Arztes Monat für Monat widerlegt; heute aber sah man sofort, dass seine Tage gezählt waren. Seit langem machte Dr. Taylor seine Visiten nur noch um der Tochter, nicht um des Vaters willen.
»Was werden Sie tun?«, fragte er leise, nachdem er seine Untersuchung beendet hatte. »Es wird nun bald so weit sein.«
»Ich mag nicht daran denken«, erwiderte sie. »Ich mag nicht daran denken, dass er nicht mehr ist.« Sie nahm die Hand ihres Vaters.
Der Arzt nickte, schwieg einen Moment und sagte dann: »Ich habe kaum
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