Die Pflanzenmalerin
nicht James Chapins Feder gewesen. Chapin hatte 1913 an einer Expedition ins Kongobecken teilgenommen, um das Okapi zu suchen, die geheimnisvolle Waldgiraffe, über die man kaum etwas wusste. Eines Abends, gegen Ende der Expedition, wurde Chapins Gruppe von Eingeborenen bewirtet, und Chapin bewunderte den Federschmuck des Häuptlings. Er durfte einige der Federn mitnehmen und konnte sie alle identifizieren, bis auf eine. Ratlos, aber neugierig, von was für einem Vogel sie stammen mochte, bewahrte er sie auf. Am Ende der Expedition war das Rätsel noch immer ungelöst. Eine Schwanzfeder war es nicht. Nichts an ihr ließ mit Sicherheit darauf schließen, dass sie von einem Pfau stammte. Doch meinem Großvater genügte sie. Diese eine Feder war der zündende Funke. Aber obwohl weder Chapin noch mein Großvater es damals für möglich gehalten hätten, sollte es noch zwanzig Jahre dauern, bis ein Vogel gefunden wurde, zu dem die Feder passte.
Katyas Führung durch das Natural History Museum begann, wo jede Führung durch das Natural History Museum beginnen muss, nämlich im Hauptsaal, unter dem Skelett des gigantischen Diplodokus. Es war ein Wochentag im Winter: ruhig, keine Besuchermassen, lange, schräg einfallende Streifen bleichen Sonnenlichts.
Wir schlenderten aufs Geratewohl von Raum zu Raum, zwei Gestalten, winzig gegen die Wesen ringsum, unbedeutend in den hohen Sälen, vorbei an Fossilplatten riesiger Meereslebewesen und an den Rippen längst ausgestorbener Säugetiere entlang, seltsamen Wesen aus einem kuriosen Bestiarium - urzeitliche Krokodile, Gürteltiere so groß wie Ponys, Faultiere größer als Bären.
Katya sah mich neugierig an.
»Warst du schon immer so, wie du jetzt bist? So interessiert, meine ich.«
Die Frage überraschte mich. Eine Frau zerrte zwei kleine Kinder an uns vorbei.
»Ich glaub schon. Teilweise jedenfalls. Ich bin ständig in irgendwelchen Hecken herumgekrochen und hab Sachen gesammelt. Mit Käfern und Kaulquappen hab ich angefangen und mich dann hochgearbeitet. Hab mich aus der Schule verdrückt, um Wassermolche zu fangen.«
»Und später? Als Teenager? Hast du auch mal rebelliert? Drogen genommen und die Schule geschmissen?«
Ich lachte. »Mit siebzehn hab ich in den Sommerferien in Costa Rica Käfer katalogisiert.«
Sie musste ebenfalls lachen, schaute dann aber nachdenklich drein.
»Ich hab jeden Quatsch mitgemacht«, sagte sie. »Drogen und so. Deswegen hab ich nie so richtig...« Sie suchte einen Moment nach dem passenden Wort und gab dann auf. »Die Freunde, die ich damals hatte, waren solche, die aus der Schule raus sind und gekifft und Häuser besetzt haben. Die hab ich gesammelt.«
»Nanu? So wirkst du gar nicht auf mich.«
Sie verzog das Gesicht. »Ach, das hat sich eben so ergeben. Komm weiter.« Sie fasste mich am Arm und führte mich in den nächsten Saal.
In einträchtigem Schweigen wanderten wir weiter, bis wir wieder im Hauptsaal landeten, beim sorgfältig rekonstruierten Skelett eines Dodos.
»Aha. Das ist also gemeint, wenn jemand ›tot wie ein Dodo‹ sagt.«
Sie las das Schild und nickte. »Vor dreihundert Jahren ausgestorben.«
»Apropos ausgestorbene Vögel...« Ich schaute auf die Uhr. »Wir haben einen Termin.«
Ich führte sie in die General Library des Museums, die kleine Bibliothek, die versteckt im hinteren Teil des Gebäudes liegt. Hier erwartete mich Geraldine, die langjährige Bibliothekarin.
»Sie wird gerade geholt, Mr. Fitzgerald«, sagte sie. »Müsste gleich da sein. Und die Banks-Biografien, die Sie bestellt hatten, habe ich auf den Tisch da drüben gelegt.«
»Gleich kriegst du was zu sehen«, sagte ich zu Katya. »Inzwischen schauen wir uns die Bücher an.«
Wir setzten uns nebeneinander, nahmen uns den Bücherstapel vor und forschten nach Banks’ Geliebter. Zumindest versuchten wir es. Doch je länger wir suchten, desto unsichtbarer wurde sie. Niemand schien auch nur ihren Namen zu kennen. Wir waren keinen Schritt weitergekommen, als Geraldine uns brachte, worum ich sie gebeten hatte. Sie legte es, nur lose mit durchsichtiger Plastikfolie bedeckt, auf einen Tisch in unserer Nähe.
Es war die Zeichnung eines Vogels, meisterhaft ausgeführt, die Farben scheinbar noch so frisch wie an dem Juninachmittag des Jahres 1774, als Georg Forster sie in seiner Kabine angefertigt hatte. Durch die Folie waren sogar noch Spuren des Zeichenvorgangs zu erkennen: Korrekturen der Umrisse, Stellen, an denen die schweißfeuchte Hand des
Weitere Kostenlose Bücher